8. Juni 2017

Das Kino, das die Geschichten erschoss

Letzten Sonntag lief der Wester-Klassiker Der Mann, der Liberty Valance erschoss auf Arte. Der Streifen dreht sich um die Frage, ob die amerikanische – vielleicht sogar die gesamte westliche – Gesellschaft auf Mythen beruht. Falschen Mythen. Der Film war 1962 ein Kinohit, ein heute unvorstellbarer Erfolg.


Liberty Valance handelt von einem US-Senator (James Steward), dessen Aufstieg auf einer alten Legende beruht: Er hat einst den Banditen Liberty Valance erschossen und so die Gegend vom Joch des Ganoven befreit. Tatsächlich war es aber sein Freund (John Wayne), der Valance umbrachte, mit einem Schuss aus dem Hinterhalt. Der Senator, damals noch Anwalt, war zunächst noch überzeugt gewesen, das Gesetz im Wilden Westen ohne Waffen durchzusetzen. Sein Freund belehrt ihn eines besseren. So verwandelt sich schließlich der Wilden Westen in „einen Garten“.
Man könnte ganze Doktorarbeiten über dieses pessimistische Meisterwerk von Regisseur John Ford schreiben: Der Senator und damit die Idee von Demokratie und Verfassung scheinen kompromittiert, weil die hehren Prinzipien auf Gewalt beruhen.
Der Mann der Liberty Valance erschoss war ein Kritiker- und Publikumserfolg und landete auf Platz 16 der erfolgreichsten US-Filme des Jahres 1962.
In den US-Top Ten damals waren unter anderem vertreten:
  • Die Meuterei auf der Bounty - Die berühmte, faszinierende und wahre Begebenheit über Captain Bligh und seine meuternde Mannschaft in der Südsee. 
  • Wer die Nachtigall stört - ein antirassistisches, politisches Justizdrama und Filmklassiker.
  • Der längste Tag - ein Kriegsepos, das sich quasi-dokumentarisch mit den bitteren Realitäten der Landung in der Normandie am 6. Juni 1944 auseinandersetzt.
  • Lawrence von Arabien - Auf Platz eins; Film um den exzentrischen, sado-masochistisch veranlagten, selbsternannten Wüstensohn T.E. Lawrence im Ersten Weltkrieg. Einer der größten Klassiker aller Zeiten.

Nun zu den größten US-Kinohits des Jahres 2016. Die ersten 10 waren:
  • Vier Superheldenfilme (Captain America, Batman v Superman, Deadpool, Suicide Squad)
  • Ein Film aus dem Star Wars-Universum (Rogue One, Platz 1)
  • Vier Computer-Animationsfilme (Findet Dory, Pets, Zoomania, Sing)
  • und die Neuverfilmung des Dschungelbuchs.

Statt einzeln die Filme kurz zu beschreiben, kann man es auch so zusammenfassen: 2016 drehte sich alles um zwei Superhelden-Comicserien (DC- und Marvel-Universum genannt), Star Wars und Kinder-Trickfilme. Inhalte waren Abenteuer, (Science-Fiction-) Märchen und Allerweltsgeschichten. Der eine oder andere liebenswerte, spannende oder lustige Film befindet sich darunter. Aber entscheidend ist: Unter den Top Ten sind sechs Disney-Filme.

Das Kino ist heute in dem Sinne nicht schlechter als früher, es ist infantiler. Musste der Mainstream-Kinogänger früher eine gewisse Rezeptionsleistung vollbringen, geht heute seine Energie dafür drauf, Marvel-Superhelden und ihre Superkräfte richtig zu ordnen.
Box-Office Hits sind für Kinder und Teenager konzipiert. Und Nerds.
Natürlich, unter den heutigen ein bis zwei Dutzend Neustarts pro Woche sind auch anspruchsvolle Streifen. Letzte Woche sah ich zufällig Jahrhundertfrauen, eine saukomische, berührende, oscarnominierte Geschichte über eine Mutter und ihren Sohn in einer WG in den 1970er Jahren.
Sein Budget von 7 Millionen Dollar wird er nur gerade so einspielen.
Marvel, 3D und Computeranimation lassen uns bunte Kinderträume träumen und die Studio-Kassen klingeln. Inhalte existieren zwar noch, sind aber nur als Gleitmittel designed, für Computereffekte. 
Es fällt schwer zu glauben, dass etwas nicht kaputt ist.

Dies ist ein Beitrag zur losen Serie Über das Ende der Herrschaft des weißen Mannes

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