30. November 2017

Vormodernität im digitalen Zeitalter - Über das öffentlich-rechtliche Fernsehen

Gestern lief im SWR eine Sendung zum Thema „Brauchen wir öffentlich-rechtliches Fernsehen?“. Neben Politikern, SWR-Intendant und -Justiziar waren auch interessierte Bürger dabei – ich kam drauf, weil auch Blogger Torsten Dewi eingeladen war. 

Die Sendung war als eine Art "Townhall-Meeting" konzipiert und ließ sich auch ganz unterhaltsam an. Doch weder TV-Journalisten, noch Regisseure waren anwesend. Ist das nicht verrückt? Wir reden übers Fernsehen und kein Fernsehmacher ist anwesend! Es war in etwa so, als gäbe es einen Eishockey-Talk und neben dem DEB-Präsidenten und seinem Justiziar wären noch Anton Hofreiter und Frauke Petry dabei.
Funktionäre, Bürokraten und Politiker reden über ein kreatives Medium. Das ist Deutschland.



In der Sendung wurde eine Umfrage präsentiert, wie beliebt die Sender bei der Bevölkerung sind. Und siehe da, bei der Mehrheit, sogar beim jüngeren Publikum, kommen ARD und ZDF gut an – bei den 18-34 Jährigen zu 62 Prozent, bei den 35-49 Jährigen zu 52 Prozent.

Die öffentlich-rechtlichen Sender bieten einer Mehrheit also ein akzeptables Programm. Aber einer starken Minderheit dagegen nicht. Da das Programm weitgehend konservativ ist (Hansi Hinterseher stand dafür in der Talkshow mehrmals ein), kann man sich denken, wer eher nicht zufrieden ist: Die Innovativen, die Progressiven, die Film- und Serienliebhaber, die Querdenker und, die eigentlichen Filmemacher. 

In der TV-Produktionsbranche besitzen die Redakteure von ARD/ZDF keinen überragenden Ruf. Ich sprach mit einem sehr bekannten Musiker, der zusammen mit einem Regisseur eine Musikdokumentation für die ARD gedreht hatte. Er sagte: „Nie wieder!“ – Die Redakteure hätten den Film auf den Kopf gestellt. Und das ist nur eine von vielen Anekdoten in der Branche.
Die TV-Macher – oft freie Produzenten und Regisseure – sind in einem Dilemma: Der öffentlich-rechtliche Sektor im TV garantiert zwar für Beschäftigung, aber sie müssen manche Kröte schlucken und künstlerische Ambitionen gerne mal anpassen.
Es hat sich eine eigene, sehr deutsche, TV-Parallelgesellschaft entwickelt. Alle möglichen Interessengruppen haben bei ZDF/ARD was zu sagen, auch die Kirche etwa. Allein die, auf die es ankommt, eben die Macher, sind unterrepräsentiert. Das hat auch Produktionen wie „Das Verschwinden“ zur Folge: Dieser ARD-Mehrteiler vom November war ein einziger, vielstündiger „Tatort“, in grau gedreht, humorlos, mit Drogenmissbrauch, moralischen Ansprüchen und: Lob vom Feuilleton. Leider war es zum Gähnen.


ARD und ZDF brauchen Innovation. Das wäre theoretisch möglich, doch ein Beamtenapparat bremst diese, Politiker sorgen für Proporzdenken und Redakteure für Stromlinienförmigkeit. Es gibt löbliche Ausnahmen, aber leider sind sie nicht die Regel.
Für junge aufstrebende TV-Talente
zählt nicht immer nur, ob sie gut sind, sondern ob sie sich anpassen können. Das gilt auch für den TV-Journalismus. Es finden sich nur wenig Querdenker. Die (Polit-)Talkshows etwa sind ein ewig gleichförmiges Ritual. Gibt es irgendein legendäres journalistisches TV-Format? Ja, die Tagesschau. 

Ich bin für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, nicht so wie AfD-Mann Jörg Meuthen, der ARD und ZDF während der SWR-Talkshow gestern am liebsten gleich abgeschaltet hätte. Seine Position ist wahre, echte, Demagogie: Meuthens AfD wurde nicht von Leuten gewählt, die noch mehr Wettbewerb wollen. Genau das wäre es aber, wenn man ARD und ZDF abschaffen würde und das Fernsehen komplett dem Markt überließe.
Ich bin auch nicht unbedingt der Meinung von Wortvogel-Blogger Torsten. Er sagte in der Sendung, wozu Shows und Spielfilme? Kernkompetenz sei bei ZDF/ARD wichtig, Information. Unterhaltung böten andere Sender.
Ich glaube dagegen, dass
gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen wagemutige, qualitativ hochwertige Fomate produzieren könnte. Wer sollte das sonst in Deutschland leisten, RTL, Pro7? Solange es keinen deutschen Player am (Streaming)-Markt gibt, blieben nur sie. Allerdings wirkt manchmal die Mentalität wie aus der Kaiserzeit entsprungen (diese Polemik ist nicht ganz falsch: Die ARD wurde in den 50er Jahren gegründet, eine Zeit, in der man wehmütig dem Wilhelminismus gedachte). Die Struktur ist teuer und scheint mehr und mehr unzeitgemäß, und das spürten viele Menschen. Letztere haben sich anzupassen an neue Gegebenheiten, müssen sich im täglichen Arbeits-Wettbewerb bewähren, im relativen Gegensatz zu ARD und ZDF. Diese stehen zwar auch unter  zunnehmenden Druck, müssen sich aber nicht zwingend reformieren, zu Viele schauen eben doch noch zu.
Ich habe vor einiger Zeit mal willkürlich einen TV-Tag hergenommen und nach Krimisendungen durchforstet. Für Dienstag, den 11.April 2017, zählte ich bei ARD-Sendern und ZDF sage und schreibe 20 Krimis (das Privatfernsehen steuerte weitere unglaubliche 59 dazu).
Es gibt gute Sendungen im öffentlich-rechtlichen TV, keine Frage. Doch das ist Irrsinn. 
ARD und ZDF müssen endlich mehr wagen. Die Zuschauer würden es honorieren, da bin ich sicher. Und die Kritik wäre auch deutlich leiser. 

1 Kommentar:

  1. Absolut.Es gab ja im Zusammenhang mit dem "Fall Brendner" ein BVerfG-Urteil, nachdem über 40 Prozent Politiker im Aufsichtsrat des ZDF als zuviel abgemahnt wurde. Keine staatsferne, kein Spiegel der Gesellschaft. Eher Funktionäre als Eigentümer der ÖR. Das führt dann zu Überalterung und Filmen, die näher am Hörfunk als am Kino liegen. Ich habe mittlerweile sicher 400 Studierende abstimmen lassen. Ergebnis: Keine 10 Prozent sieht regelmäßig fern, und noch weniger haben Verständnis für die Haushaltsabgabe. Hoffnung? ZDF Neo mit ca. 1 Prozent Zuschauern.

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