26. Februar 2018

Deep Sex

Vorbemerkung: Ich verlinke den betreffenden Video-Clip aus Gründen des Persönlichkeitsrechts nicht. Aber er ist recht einfach zu finden. 

Emma Watson fickt. Lustvoll reitet der Star auf einem jungen Kerl, streicht sich die Haare aus dem Gesicht, beugt sich erregt zur Seite, beißt auf die Lippen. Der Clip zeigt die Hollywood Schauspielerin Emma Watson ganz natürlich, ganz explizit, ganz ungeniert beim Sex.
Nur wer die Bilder genau studiert erkennt, dass etwas nicht stimmt. Es handelt sich um sogenannte „Deepfakes“, die in den letzten Tagen und Wochen für Aufsehen
sorgen: Der Clip ist eine natürlich wirkende Irrealität, mithilfe von Künstlicher Intelligenz erschaffen.


Deepfakes bezeichnen Bildmanipulationen mithilfe von neuronalen, selbstlernenden Netzwerken. In diesem, dem drastischsten Fall, dreht es sich um das Ersetzen der Gesichter von Pornodarstellerinnen mit prominenten Schauspielerinnen beim Akt. Die Ergebnisse sind teilweise noch schlecht, teilweise sehr gut, wie bei Emma Watson, aber ein Durchbruch sind sie in jedem Fall. Die Gesichtsmimik von Watson zeigt tatsächlich Lustgefühle, und das trotz Bewegung von Kopf und Körper – statische Gesichter werden ja schon länger manipuliert. Dies hier ist etwas Neues: Emma Watsons scheint auf natürliche Weise manipulierbar, potentiell in all ihrer Vielfältigkeit. Noch ist es nicht perfekt, aber man braucht wenig Phantasie um sich auszumalen, wie gut die Resultate in wenigen Jahren sein werden.

Das Fazit mancher Medien lautet: Nun können auch Bewegtbilder gefälscht und damit nicht mehr getraut werden. Allerdings ist das eigentlich ein alter Hut. Schon lange werden Fotos manipuliert, schon seit Jahren analysieren Redaktionen Videobilder aus Krisengebieten – etwa aus Syrien oder der Ukraine – ob sie gefälscht sind oder nicht. Den visuellen Medien können wir schon lange nicht mehr blind vertrauen. 

Die Porno-„Deepfakes“ – das Wort ist eine Zusammensetzung aus Fakes und „Deep Learning“, einem Begriff aus der Arbeit mit neuronalen Maschinen-Netzwerken – sind aus anderen Gründen ein denkwürdiger Einschnitt.
 

Zunächst erfordern Deepfakes geringe Ressourcen – es gibt sogar schon Apps. Hinter den Porno-Clips stehen keine Unternehmen, sondern wohl Einzelpersonen. Wir müssen uns also langfristig darauf einstellen, dass Geheimdienste, Kriegsparteien oder gar mäßig versierte IT-Ingenieure Videobilder in natürlicher Weise fälschen. 
Deepfakes sind aber auch ein Meilenstein auf dem Weg in die Digitalisierung und zeigen die menschliche Ersetzbarkeit, naheliegenderweise zunächst Schauspieler. Nach den Missbrauchsvorwürfen gegen Kevin Spacey drehte Regisseur Ridley Scott etwa Spaceys Szenen mit einem neuen Schauspieler nach, Christopher Plummer. Vielleicht war es einer der letzten Nachdrehs: Zukünftig könnte man einfach das Gesicht ersetzen (was allerdings einen Rechtsstreit auslösen würde. Spaceys Körper, das Gesicht von Plummer – wer  spielt eigentlich diesen Film-Charakter?).

Ich prophezeie, und das ist nicht schwer, in den kommenden zehn Jahren einen neuen Film mit längst verstorbenen Schauspielern. Körperdoubles werden herhalten, ihre Gesichter ersetzt von denen Marylin Monroes oder Gregory Pecks. Ihre Stimmen wären noch ein Problem, aber nur, wenn es um wahre Authentizität ginge.

Kommen wir zum wichtigsten Punkt, den neuronalen Netzwerken. Die Natürlichkeit von Watsons Porno-„Auftritt“ wurde nur durch künstliche Intelligenz möglich – hier mehr zu der Verfahrensweise

KI macht Quantensprünge. Im März 2016 gewann das Computerprogramm Alphago gegen den besten Spieler des asiatischen Brettspiels Go, welches deutlich komplexer als Schach ist (AlphaGo ist Teil von Google. Überhaupt positioniert sich der Konzern auf diesem Gebiet an vorderster Front, nicht nur was die Forschung angeht, sondern auch die PR: Der Dokumentarfilm über AlphaGo ist bemerkenswert unkritisch). Das Besondere: Das Computerprogramm, bzw. das neuronale Netzwerk, brachte sich das Spielen selbst bei. Die gleichen Entwickler schlugen mit ihrer Entwicklung AlphaZero vergangenen Dezember das dato beste Schachprogramm Stockfish 8, wobei die Rahmenbedingungen  AlphaZero begünstigten. Das außergewöhnliche ist auch hier, dass das Programm, einmal mit den Regeln versorgt, sich in kürzester Zeit ohne menschliche Hilfe das Spiel selbst beibrachte – Stockfish 8 wurde über Jahre von Menschen entwickelt.
Ob in diesen Spielen, in der Sprach- oder in der Gesichtserkennung, oder, wie es seit einiger Zeit auffällig ist, bei der Übersetzung – das langjährige Kauderwelsch des Google Translators ist neuerdings extrem verständlich geworden – Künstliche Intelligenz dringt immer tiefer in unser Leben ein. Manchmal bin ich mir nicht mehr sicher, ob die Digitalisierung das große kommende Thema ist, oder KI. Wir sind dabei, mit Rasanz Systeme zu erschaffen, die althergebrachtes, menschliches Denken ergänzen, ersetzen und überflügeln.  


"Emma Watson" schaut im Porno-Clip einmal kurz recht unbeteiligt. Wer die Hintergründe nicht kennt, denkt sich vielleicht nichts dabei. Doch wer Bescheid weiß, sieht in diesem Moment die Sinnbildhaftigkeit; als scheine Watson zu denken: "Was passiert hier gerade? Was mache ich nur?" Ihr Gesicht scheint Ausdruck ihrer maschinenhaften Nichtmenschlichkeit. Wir werden uns an solche Seltsamkeiten – dem Uncanny Valley – gewöhnen, wir tun es gerade jeden Tag, wenn wir Computer und Internet nutzen. 
Der Schauer, der den Rücken runterläuft, bleibt.


Nachtrag:Bemerkenswert ist, dass bisher nur Pornodarstellerinnen ersetzt wurden. Mich würde abseits aller Deepfakes eine feministische Sichtweise auf Deep Learning und neuronale Netzwerke interessieren. Auch hier sind die Akteure fast allesamt männlich.

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