13. August 2017

Debatten

Es ist Sommer, "Draußen-Zeit". Daher kommt hier kein regulärer Eintrag, sondern kurze Kommentare zu mehr oder weniger aktuellen Themen, darunter "Finis Germania", Neymar und Gender Studies-Streit.


Finis Germania und die Angst vor dem Untergang 
Rolf-Peter Sieferles Büchlein „Finis Germania“ gilt inzwischen als rechtes Kultobjekt. Es gab die Posse um die Bestsellerliste des Spiegel, es gab eine zurückgezogene Nominierung als Sachbuch des Monats.
Ich habe die recht kurze Schrift soeben gelesen. Gebildet, aber verdrechselt, trägt Sieferle  seine Thesen vor (Etwa gäben wir Deutsche aufgrund des Holocaust unsere Kultur und Identität auf -> "Schuldkult"-Vorwürfe). Nichts an den heutigen Zuständen identifiziert er als gut, alles ist schlecht und Deutschland quasi im Arsch.
Interessant, dass auch solch intelligente Menschen wie Sieferle ihren Emotionen unterworfen sind: Der Autor wird geplagt von Untergangsängsten. Er ist intelligent, aber eben auch zynisch-depressiv (Sieferle brachte sich letztes Jahr um). Finis Germania ist einseitig, teils verschwurbelt und unterschlägt völlig andere, positive Entwicklungen. Ein Artikel aus der NZZ bringt das hervorragend auf den Punkt.
Und warum verkauft sich das Buch so gut? Darauf gibt ein New York Times Artikel Hinweise. Die Times, nach dem sie sich inhaltlich ausgiebig mit dem durchaus anpsruchsvollen Sieferle auseinandersetzt, führt das auf einen Besorgnis erregenden Grad der Ablehnung des Establishment zurück.
Finis Germania ist eine negative Gedanken-Falle, in die wir nicht tappen sollten und damit auch eine Warnung, auch wenn es Reformbedürftigkeit gibt.
Und es ist teil einer Reihe von Untergangsprophezeiungen. Als weiteres Beispiel dient der junge, konservative Autor Douglas Murray. Er hat ein Buch namens "The Strange Death Of Europe" geschrieben. Auch bei ihm kann ich nicht recht verstehen, warum wir kurz vorm endgültigen Niedergang sind. Doch jeder darf sich eine eigene Meinung bilden.
Ein Blogpost zu dem Thema folgt hoffentlich bald.


Die Rezeption der G-20 Protesten 
Rund um die Vorgänge in Hamburg schlug ein unheimliches Getöse los. Wie ich schon schrieb, halte ich die Diskussionen online für kaum noch durchführbar.
Doch neben den medialen Aspekten - die sozialen Netzwerke fördern Polarisierung - kommt hinzu: Wenige sind überhaupt an Differenzierungen interessiert, das zeigen die vielen „Jetzt-ist-Schluss“-Texte, aber auch die Proteste selbst. Ich habe viele Stunden Material von den Straßenszenen in St.Pauli gesehen. Was mir auffiel: Weder Proteste noch Polizeireaktionen waren in irgendeiner Weise kreativ, raffiniert oder sonst bemerkenswert. Die Randale am Fischmarkt und in der Schanze waren genau so zu erwarten. Es lief nach Schema F ab, wie in einem schlechten Film, bei dem das Ende früh vorhersehbar war. Es stimmt nachdenklich, dass es beiden Seiten nicht um Inhalte, Statements oder Deeskalation ging.

Über den Nutzen der Gender-Studies
Es gibt eine Diskussion um Sinn und Bedeutung des Studienfachs Gender Studies. Mit einem Buch namens „Beißreflexe“ begann alles. Die (konservativ-)feministische Zeitschrift Emma führte die Debatte fort: Dort wirft der Autor Vojin Saša Vukadinović, selbst einst Gender Studies-Student, der Fachrichtung einseitige, belanglose Forschung vor, meist anti-westlich und von Männer- und Hetero-Hass geprägt. Dazu habe es bisher keinerlei allgemein anerkannte, wegweisende Erkenntnisse oder Thesen gegeben.
Die Antwort der von Vukadinović angegriffenen Forscherinnen Judith Butler und Sabine Hark druckte die Zeit. Ebenda antwortete darauf nun jüngst Alice Schwarzer, Chefin von Emma.
Im Gegensatz zu all den Befindlichkeits-Äußerungen in den diversen Bubbles, ist diese Debatte mal endlich substantiell. Was leisten Gender-Studies?
Ich bin zwar nicht theoriefest auf diesem Gebiet, kann aber sagen, dass diese Diskussion Vukadinović gewonnen hat und zwar haushoch. Sein Text ist zum Teil polemisch, aber auch pointiert, detailreich und vor allem fundiert. Hier weiß jemand, wovon er schreibt.
Butler und Hark dagegen verwehren sich bloß. Sie halten schon allein den Angriff für falsch, also die Form des Beitrags. Inhaltlich gehen sie kaum darauf ein. Diese Replik ist derartig schwachbrüstig, dass man sich an den Kopf fasst: Das ist alles, was führende Koryphäen des theoretischen Feminismus zu den Vorwürfen zu sagen haben?  

Facebook und die sozialen Medien  
Es gibt meines Erachtens Indizien dafür, dass sich Nutzer langsam von Facebook abwenden. Micky Beisenherz zum Beispiel, der Tausendsassa der Pointe, schrieb in einer Stern-Kolumne neulich von der Unmöglichkeit, auf Facebook zu diskutieren, was auf ein grundlegendes Problem hinweist: Wenn in solch großen, zusammengewürfelten Gruppen diskutiert werden soll, dann sinkt das Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners permanent. Irgendwann wenden sich die Menschen ab.
Andere kritisierten "the social network" für die geradezu kafkaeske Administration von Seiten - letzteres kann ich bestätigen, die Vermarktung ist geldgierig angelegt, unübersichtlich und ungenau. 
Immer öfter gibt es Nutzungsaufforderungen in Form von absurden Benachrichtigungen. Eine uralte Facebook-Seite von mir, auf der ich schon 5 Jahre nichts mehr gepostet habe, habe etwa „4 neue Seitenvorschauen“ - was immer das auch sein mag. Mein Eindruck ist zudem, dass immer weniger meiner "Freunde" immer weniger posten. Am aktivsten sind die Profis, die Selbstdarsteller oder Leute, die Aufmerksamkeit brauchen. Facebook ist kaum noch ein soziales Netzwerk.
Hat sich Zuckerbergs Konzern trotz anderslautender Meldungen ausgewachsen, ist er etwa auf dem Weg in die Krise? Die Zahl der Karteileichen, die uns als User verkauft werden, muss gigantisch sein, Anzahl und Art der Nutzungsaufforderungen sind suspekt. Als reiner Beobachter tippe ich, dass Facebook sich zunnehmend verzweifelt um Traffic bemüht.

Neymar 
Zum Schluss: Neymar und die Frage, wie teuer Fußballspieler sein dürfen. Es gibt viel Kritik um den Transfer des Fußballers für 222 Millionen von Barcelona nach Paris, aber auch viele, die sagen „that’s business“.
Gerade letzteren empfehle ich unbescheiden meinen Artikel von neulich über Neoliberalismus und Fußball. Gerade Fußballjournalisten sehen nicht, dass man die Sportart gesamtgesellschaftlich betrachten sollte. Die irren Wachstumsraten, sei es bei Ablösesummen, Spielergehältern oder TV-Verträgen sind nicht ewig durchhaltbar. Irgendwann sind wir am Peak, dann geht es abwärts. Vielleicht war der Neymar-Deal der Peak, vielleicht lässt er noch auf sich warten. Klar ist, durch diesen Deal sind wir ein ganzes Stück näher dran.
Bundesliga-Coach Christian Streich weiß und sagt das. Er fürchtet gar um die demokratische Ordnung. Streich ist vielleicht der gebildetste Trainer in der Bundesliga und hat seine geisteswissenschaftliche Ausbildung (zum Lehrer) unter anderem bei Ulrich Herbert genossen. 
Das zeigt, ein Schuss Geisteswissenschaft täte der Fußball-Trainerausbildung gut, aber auch den Sportjournalisten.

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