21. Januar 2018

#Me Too. Ich und der Kulturkampf.


Ich bin mit derben, mitunter frauenfeindlichen Witzen aufgewachsen. Obwohl in zivilisiertem Umfeld sozialisiert, durchlief ich in meiner Pubertät und frühen Jugend auch eine Schule des Machismus. Zum Glück habe ich mich entwickelt. Nicht weil ich mich sozial erwünscht verhalten möchte, das ist mir egal, in Zeiten indoktrinierter Political Correctness ja geradezu zuwider. Aber ein Leben im Einverständnis mit Frauen fühlt sich ganz einfach besser an. Zugleich fühle ich mich selbstbewusst heterosexuell. Als Indiz hierfür kann ich anführen, dass ich noch nie das Bedürfnis hatte, meine Identität durch einen Hipster-Bart oder einen fetten Wagen zu kompensieren. Schön für mich. Aber weshalb dieser persönliche Einstieg in die Debatte?
Ich habe gelesen, dass man als heterosexueller Mann nur Falsches sagen kann und lieber nur zuhören sollte. Das mag historisch richtig sein. Heterosexuelle weiße Männer haben Frauen systematisch unterdrückt und massenhaft vergewaltigt. Sie haben Weltkriege begonnen, Atombomben erfunden und abgeworfen. Sie haben den Großteil der Erde kolonialisiert und nach deren Unabhängigkeit dann gleich wieder post-kolonialisiert. Ich bin aber keine historische Figur. Ich bin an all diesen Dingen nicht beteiligt gewesen. Denn ich bin ein Individuum. Die #Me Too-Debatte hat nun dermaßen viele Schattierungen, dass man immer nur einem persönlichen Standpunkt gerecht werden kann. Die eigene Weltsicht konstruiert hier – noch mehr als bei anderen Reizthemen – eine notwendigerweise subjektive Einschätzung. Deshalb respektiere ich zum Beispiel den offen subjektiven Ansatz von Transmann Paul B. Preciado in Le Monde/Liberation. Er versucht nicht, seine Ansichten als objektiv auszugeben. Damit geht er das Thema Sex glaubhaft an. Eine kulturell mit Scham belegte, und doch allseits beliebte Handlung, die nun nackt ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird, hat einen Blick verdient, der Nichts heuchelt.
Preciados Ansicht teile ich allerdings nicht. Er unterstellt Catherine Deneuve und ihren Mitstreiterinnen, als Teil des Ancien Régime den Diskurs zu dominieren: „Jouissez de votre esthétique de la domination, mais n’essayez pas de faire de votre style une loi.“ Ich denke dass gerade der Diskurs, und nur der Diskurs, links-liberal dominiert wird. Die Welt allerdings wird rechts-konservativ gelenkt. Ihre Worte sind den Linken und Feministinnen das, was dem jungen Mann sein Rauschebart ist: Geliebte und gepflegte Kompensation. Wer sich an Oberflächen abarbeitet, belässt den Kern so wie er ist.
Wenn Frauen nicht zum Selbstvertrauen gelangen, in unangenehmen Situationen ihre Frau zu stehen, werden sie auch keine Souveränität herbeidiskutieren können. Hier bin ich ganz bei Preciado: „Et laissez nous baiser avec notre propre politique du désir, sans homme et sans femme, sans pénis et sans vagin, sans hache et sans fusil.“ Oder um es mit Friedrich dem Großen – noch ein Frankophiler - zu sagen: Beim Sex – Friedrich sprach von der Religion – muss jeder nach seiner Fasson selig werden. Nur geht das in einem Umfeld der Harvey Weinsteins natürlich nicht. Deshalb ist sexueller Missbrauch eine Sache der Justiz. Weshalb aber lassen wir es zu, dass solche Widerlinge eine so schöne Sache zwischen anständigen Menschen vergiften? Weil die Fehler im System liegen und Weinstein nur die Spitze des Eisbergs ist? Gibt es eine institutionalisierte Unterdrückung, an der das Schiff der weiblichen Sexualität einfach nicht vorbeikommt? Ich habe das Gefühl, wir leben bereits in einem Rahmen, von Frauenquote bis Sexualstrafrecht, der eine vorbildliche Gleichstellung der Geschlechter ermöglicht. Wenn ich bei Jobbewerbungen lese, dass bei gleicher Eignung Frauen bevorzugt eingestellt werden, fühle ich mich vom System sogar ungerecht behandelt.
Vorschriften und Gesetze müssen aber mit Leben gefüllt werden. Weshalb werden sie das nicht? Um Opfer hier nicht zu Tätern zu machen, möchte ich davon berichten, wie ich sexuell von Frauen belästigt wurde. Bei mehreren Situationen – zumeist auf Partys – griffen mir, zumeist angetrunkene, Frauen in den Intimbereich. Wie habe ich reagiert? Wenn ich kein Interesse an der Frau hatte, habe ich sie kurz aber deutlich zurechtgewiesen. Es kam aber auch vor, dass ich es als ausgesprochen forsch vorgetragenes Kompliment verstand. Allerdings war ich da in einer festen Beziehung und nicht jeder Mann entspricht wohl den Vorstellungen des Schriftstellers Alfred Döblin: „Es ist töricht alle sexuellen Bedürfnisse im Rahmen einer festen Beziehung zu erfüllen. Das ist, als wolle man verlangen, nur zur Mahlzeit oder nur in bestimmten Lokalen Hunger zu haben.“ Künstler, Männer, Sex, Klischee. Wie habe ich mich gefühlt? Niemals als Opfer. Wie hat die Frau reagiert, die sich vom Comedian Aziz Ansari zu sexuellen Handlungen genötigt sah? Sie ist zeitweise widerwillig darauf eingegangen, weil er ihre missbilligenden Signale nicht verstand. Wie hat sie sich gefühlt? Missbraucht und benutzt. Sie weinte danach. Sie war ein Opfer, wurde zu einem gemacht, machte sich selbst zu einem. Sind meine Reaktion, und die der damals 22-jährigen Grace, nun individuelle Reaktionen? Oder doch paradigmatische Zeichen einer Gesellschaft, die Frauen zu potenziellen Opfern macht?
Eine ganze Reihe von Teenagerkomödien lebt davon, dass junge Männer von der Körpermitte aus denken. Teenager dürfen triebgesteuert sein, denn sie können es ja noch lernen. Ich habe es auch gelernt. Mir billigt man – zurecht – ein solch lächerliches Verhalten nicht mehr zu. Denn ich bin ein erwachsener Mann. Doch ich muss mir sagen lassen, auch wenn wir Männer nicht alle Weinsteins seien, träfe uns alle doch eine Mitschuld an ihm! Weil wir Stützen des Systems sexueller Unterdrückung sind? Solche Aussagen sind für mich Symptome einer Zeit des Kulturkampfes. Eines der Hauptziele ist es, den Götzen des weißen Mannes zu stürzen. Der beherrschte die Welt, weil er Flugzeuge und Eisenbahnen erfand, das Penizillin fand und auf dem Mond stand. Und weil er all diese Schaffenskraft für schlimme Dinge – s.o. – missbrauchte. Seit Peter Scholl-Latour wissen wir, dass seine Herrschaft zu Ende ist. In Ordnung – weg damit. Aber ich habe all das nicht getan. Ich bin kein Harvey Weinstein, kein John von Neumann und kein Carl Peters. Ich möchte nicht wegen diesen Männern als potenzieller Täter stigmatisiert werden. Ich bin nicht die dunkle Seite des Ich-bezognenen Hashtag #Me Too. Ich möchte nicht bei all den wundervollen sexuellen Spielarten dieser Welt verunsichert werden. Ich wünsche mir eine Welt voll selbstbewusster Frauen, die mit mir klar kommen.

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