20. Juli 2016

al-Baghdadis Helfer. Der Ruhm der Verlierer.

Seit dem Anschlag von Würzburg jagt ein Bericht den nächsten. Von Sondersendung zu Sondersendung stellen wir uns die Frage: Wer war der Attentäter? Ein Verwirrter? Ein Islamist? War er integriert? War er wirklich Afghane? Um sein Psychogramm zu erstellen, werden seine Mitmenschen befragt. Wir erfahren, dass er "sympathisch, freundlich und entspannt war." Das ist alles sicherlich aufregend. Solange man selbst nicht Opfer wird. Es sind aber die falschen Fragen. Wir sollten fragen: Was braucht ein Attentäter, um im Westen zum erfolgreichen Terroristen des Daesh (in den Medien der "Islamische Staat") zu werden?
Er braucht Waffen, um zu töten. Die gibt es überall. Im Baumarkt, bei der Autovermietung usw. Er braucht Zugang zu sozialen Netzwerken, um sich zu radikalisieren. Den hat im Westen ebenfalls jeder. Dann psychische Labilität oder eine deprimierende Biografie als Kleinkrimineller. Es braucht keinen besonderen Menschentypus. Gerechtigkeitsfanatiker, Gewaltfetischisten, Verzweifelte, Depressive und Gestörte gab es schon immer. In Kombination mit dem Überbau, Teil einer auserwählten Gemeinschaft, einer göttlichen Bestimmung zu sein, braucht es jetzt nur noch narzisstischen Egoismus, um sein mögliches Glück im erhofften Paradies über das Leben von Anderen zu stellen. Damit haben wir einen Attentäter - aber noch keinen Terroristen. Denn Terror zielt nicht auf die unmittelbaren - oft willkürlich ausgewählten - Opfer. Er zielt auf alle anderen, denen ein Gefühl der Unsicherheit, der Angst vermittelt werden soll. Dieses Ziel können Terrororganisationen nur erreichen, wenn Attentäter zu Mythen der Massenkommunikation werden. Dazu allerdings fehlen Daesh und ihren Mordwerkzeugen die Mittel. Hier könnte man ihre Propaganda einfch auflaufen lassen. Dummerweise stellen ihnen unsere Medien ihre Logistik zur Verfügung. Auf der PK verliest die Polizei Teile eines Abschiedsbriefs. Alle Sender zeigen das Bekenner-Video. Phoenix kündigt es so an: "Eine IS-nahe Agentur verbreitete dessen Bekenner-Video". Ist Phoenix damit eine IS-nahe Agentur? 
Nicht nur dass der 17-Jährige tagelang die Medien beherrscht. Er wird auch noch zum Vorboten einer neuen Zeit des Terrors stilisiert. Monatelang mussten Reporter mit Experten das Ausbleiben des Terrors erörtern: "Weshalb hat der Terror Deutschland bisher verschont? Wird er ewig eine Schleife um unser Land ziehen?" Nach Würzburg ist nichts mehr so wie es einmal war (um in 9/11-Dimensionen vorzustoßen) "Ist der IS-Terror in Deutschland angekommen?" fragen Nachrichtensprecher und Teletext. Moderatorin Susanne Stichler wird apokalyptisch visionär. Sie sieht im ARD Nachtmagazin Deutschland auf dem Weg in eine vom Terror geprägte Zukunft: "Was macht solch eine Angst mit einer Gesellschaft, wenn man jetzt mal in die Zukunft schaut?", fragt sie mit Blick auf Israel. Zum Glück stutzt Angstforscher Borwin Bandelow die Amoktat mit Verweis auf Südafrikas Kriminalität und die Bombennächte des Zweiten Weltkrieges auf eine angemessene Größe herab. Damit nimmt er der professionellen Hysterie Stichlers etwas den Wind aus den Segeln. 
Natürlich liefern die Medien nur, was auch gewünscht wird. Menschen nutzen Medien, um unterhalten zu werden. Manchmal auch, um sich im Gefühl eigener Sicherheit zu gruseln. Wer will sie sehen, die Robert Steinhäusers, die Jeffrey Dahmers? Wir alle lieben den sanften Schauer des Horrors. Allerdings: Ego-Shooter stehen am Pranger, Slasher-Streifen unterliegen der FSK. Der reale Horror ist dagegen News. Diese Mechanismen macht sich die Daesh-Propaganda zu nutze. Auch Serienmörder und noch mehr Amokläufer üben soziale Vorbildfunktion auf bestimmte Individuen aus. Aber im Gegensatz zum Terrorismus ist massenmediale Distribution bei ihnen kein Teil einer Strategie im Kommunikationskrieg. Um sich nicht zum Helfer dieser Strategie zu machen, sollten sich unsere Medien in Enthaltsamkeit üben. Die Gatekeeper-Funktion der Medien sollte nicht dort einsetzen, wo Informationen zu verbreiten sind, aber dort wo Mord-Propaganda verbreitet wird. Der Anschlag ist eine Nachricht, aber er ist kein Sportereignis. Er taugt nicht dazu, zu etwas Großem aufgebauscht zu werden. Denn erst dadurch wird er zu etwas Großem. Und dann wird es Follower geben. Die Art der medialen Berichterstattung macht vor allem unser Fernsehen zu Mitschuldigen an möglichen nächsten Opfern.
Genügt dafür das Internet nicht? Würde sich der Effekt der Vorbildfunktion heute nicht allein über die sozialen Netzwerke einstellen? Nein, denn die berühmten "15 minutes of fame" gelten in McLuhans und Warhols Sinn nur für das Massenmedium TV. Zurecht wandelte der Internet-Avantgardist Momus diesen Satz um: "On the web, everyone will be famous to 15 people". Das Netz, in dem Sender kaum mehr wert sind als Empfänger, taugt mit seinen unendlich fragmentierten Themen nur in Kombination mit einem vorhandenen Massenwillen (Arabischer Frühling) oder mit der Logistik der Massenmedien zum Agitationsmedium. Als Wikileaks "Collateral Murder" und andere Enthüllungs-Scoops an die Weltöffentlichkeit brachte, genügte den Nerds ihr Medium nicht. Sie griffen - eher widerwillig - zur bewährten Logistik der Massenmedien (Guardian, Spiegel, New York Times). Wesentlich bereitwilliger nutzt die Propaganda des Terrors das immer noch mächtige Agenda-Setting der etablierten Massenmedien. Und die spielen mit.
Dass die Abendgestaltung für die deutschen TV-Redakteure mehr zählt als die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft hat zumindest etwas Tröstliches: Für sie scheinen Attentate immer noch Teil des Infotainment-Programms zu sein - und damit kein terroristischer Ausnahmezustand, wie etwa in Frankreich. Noch tröstender ist nur Renate Künast. Ihr Tweet zeigt uns vielleicht, dass sie "Nackte Kanone" für eine Doku über Polizeiarbeit hielt - das Original min 2:10. Vor allem aber, dass lächerliche Themen sofort in der Lage sind, gefährlichen Themen den News-Wert abzulaufen. 
Bitte liebe Massenmedien: Berichtet was passiert ist! Bietet Täter und Propaganda keine Plattform! Keine Psychogramme! Kein O-Ton! Keine Sondersendungen, in denen die Opfer keine 5% der Sendezeit erhalten.

3 Kommentare:

  1. Deine Begehren zur Mäßgigung ist hehr, richtig und nötig, allein es wird nie passieren. Die Medien sind dazu gar nicht in der Lage. Ein Impuls müsste von außen kommen, doch auch das ist derzeit aussichtslos. Ich fürchte sowieso, dass wir tiefgreifendere Veränderungen brauchen, als ein neues Mediengesetz.

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  2. Unsere Medien sind ja nur an ihren Ethikkatalog gebunden. Der reicht sicher nicht aus, wenn Terroristen sich die Gesetzmäßigkeiten unserer Medienmärkte zunutze machen. Stammt ja auch noch aus einer anderen Zeit. Aber gerade die Öffentlich-Rechtlichen könnten doch mit gutem Beispiel voran gehen. Als USP.

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  3. Meine kollegiale Kritik an der meiner Ansicht nach skrupellosen allgemeinen Berichterstattung ist nun auch wissenschaftlich vom Institute of Labor Economics in Bonn untermauert:
    http://ftp.iza.org/dp10708.pdf

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