27. Juli 2016

Trumpbrexit


Dieser Artikel geistert gerade durch die sozialen Medien. Der Autor Tobias Stone glaubt, die Apokalypse sei nah, weil die Geschichte in Zyklen vollzogen werde. Er vergleicht die Pest mit dem ersten Weltkrieg und Hitler und auch mit Trump. Immerhin, sei alles vorüber, wäre die Rasse Mensch gestärkt, schließlich seien Alte, Kranke und Schwache ausgesiebt worden. 
Stone produziert Nonsens und das so mangelhaft, dass ich darauf nicht näher eingehen möchte. 
Wenn jemand nach einer anständigen Erklärung für die aktuellen Krisensymptome der westlichen Gesellschaften sucht, der kann dennoch auf Stones Beitrag klicken: 

Was er nämlich nicht erkennt, ist die Brillianz eines anderen Artikels, auf den er verlinkt.
Im New York Magazin erklärte Andrew Sullivan bereits Anfang Mai anhand Platon und einiger anderer Autoren den Vormarsch Trumps. Laut Platon, schreibt Sullivan, sei eine Demokratie in reifem Zustand anfällig für Populisten, weil sie zunehmend instabil wird in ihrem Bestreben, Gleichheit zu finden. Zuviel Freiheit endet in nichts als Sklaverei. Die Demokratie paralysiert sich quasi selbst und ein Populist, meistens aus der Elite, nutze diesen Moment, indem er der Masse verspricht, Schluss mit dem Blödsinn zu machen.
Platon und vor allem Sullivan kritisieren eine Hyperdemokratie. Nun hätten die Gründerväter der USA ihren Platon gelesen, schreibt der britisch-amerikanische Journalist weiter, und Hürden vor eine Übernahme des Populismus gestellt. Das Problem sei nur, dass diese abgebaut werden. Alles werde demokratisiert. Ein besonderes Beispiel dieser Problematik seien die Medien im 21.Jahrhundert. Filter, die für Rationalität in der Debatte sorgen, fallen weg. Es gibt kaum noch von Redaktionen kuratierte Meldungen, sondern bloß Breaking News. Online-Debatten scheitern an Godwin’s Law (jede Diskussion endet früher oder später bei Hitler), Emotionalität oder Narzissmus.
Ein letzter, wichtiger, Punkt aus Sullivans reichhaltiger Analyse: Der miserable Umgang mit der weißen Arbeiterklasse. Sie verarmt beständig, Eliten verhöhnen sie, und, interessanterweise tut das die Linke auch. Aus einem elitären, extremistischen Ansatz heraus repräsentiert der weiße, heterosexuelle Arbeiter nämlich den Sündenbock für Ungleichheit unter Rassen und Geschlechtern. Kein Wunder, dass der "White Trash" und andere, nicht Elitäre, gerne Trump wählen.
Insgesamt geht Sullivan vielleicht zu sehr auf formale Überlegungen ein, inwiefern Donald Trump eine faschistoide Bewegung etablieren könnte - ich sehe ihn nach wie vor ideologisch wenig organisiert - aber das sind Details. Trump, das ist die Message, könnte wirklich US-Präsident werden und die Nuklear-Codes in die Hand gedrückt bekommen. Sullivan glaubt das schon lange, ich glaube das seit dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU im Juni.
Bis dahin war mir nicht bewusst, wie groß die Ablehnung des Etablierten geworden ist. Die Fremdenangst, und der Hass, die Ablehnung des Konstrukts EU-Europa, all das mögen Gründe für den Verlauf des Referendums gewesen sein. Aber der Autor Robert Harris traf den Nagel auf den Kopf, als er über die Brexit-Befürworter sagte, sie lehnten im Kern die Moderne ab und er könne es ihnen nicht einmal verdenken. Sie werden abgehängt.
Fortschritt ist für uns mittlerweile normal. Mehr verlangen ist die Regel. Dabei vergessen wir, was wir erreicht haben, und dass das keine Selbstverständlichkeit ist. Der Berliner Ex-Pirat und Abgeordnete Christopher Lauer fragte in einem Interview, ob wir es uns wirklich leisten können, uns nicht für Politik zu interessieren. Jeder lästere über Politiker, aber keiner tue etwas. Lauer spricht auch Partikularinteressen an, völlig zurecht. Ich finde, wir sind gut darin, mit moralisch erhobenen Zeigefinger frauenfeindliche Positionen anzuprangern oder Bürgerinitiativen zu starten, wenn für die Autobahn der Schrebergarten weichen soll. Wir leben in der freiesten Gesellschaft, die es jemals gegeben hat, aber wenn es darum geht, sie zu gestalten - Flughäfen, Rente (Grundeinkommen?), Ausgleich, Steuergerechtigkeit - bleiben die Finger unten. Da süffeln die Eliten Rotwein, so Christopher Lauer, räsonnieren und gehen am anderen Tag wieder in ihren gut bezahlten Jobs arbeiten.
Eigentlich ist es ziemlich einfach: Wer will, dass das liberale System mit all seinen Stärken und Schwächen mehr oder weniger so bleibt, der sollte sich gefälligst anfangen, zu engagieren, und zwar für die Gemeinschaft. Wer will, dass ihm in den Arsch getreten wird, der tut am besten nichts.
In den USA sehen wir gerade den Extremfall dessen, was Selbstverwirklichung, Egoismus und Individualisierung mit sich bringt. Bekanntlich heißt es: Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient.

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