3. Januar 2017

Safebook-Alarm

Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin am 19.12. drängte Facebook Nutzer in der Hauptstadt, sich „safe“ zu melden. Doch statt zu beruhigen, betreibt dieses Feature meines Erachtens Panikmache. Es steht symbolisch für die Hysterie unserer Zeit.

Facebook forderte mich kurz nach dem Attentat als Hauptstadtbewohner wiederholt auf, mich "safe" zu melden. Die Chance, dass ich unter den Toten und Verletzten des Weihnachtsmarkt-Attentats bin, war minimal. Wer solche statistischen Maßstäbe anlegt, müsste dauernd fragen, ob ich sicher bin: 2015 wurden im Schnitt pro Tag 49 Menschen verletzt, nämlich im Berliner Straßenverkehr (48 starben). Es scheinen vor allem Algorithmen zu entscheiden, ob eine Krisensituation vorliegt. Wenn Computer in solchen Situationen das Sagen haben, spielen sie Extremisten in die Hände.
Viele Freunde, die sich nicht um Facebook scheren (sind noch in der Mehrheit, kaum zu glauben) fragten mich bis heute nicht, ob alles ok ist. Das finde ich richtig: Wenn man nichts hört, ist alles in Ordnung - sie hatten Distanz zu dem Thema.
Der Einwand lautet jetzt natürlich, was ich denn habe. Warum nicht einfach den Mausklick tätigen, viele wären dadurch beruhigt? Es war schließlich ein monströses Attentat! Meine Antwort: Weil dieser "Safe"-Button nur das bestätigt, was sowieso wahrscheinlich ist. Es besteht keine Gefahr für mein Leben, viel wichtiger ist diesem Moment der Psychoterror. Jeder einzelne Mausklick trägt zur Hysterie bei.
Facebook braucht Klicks und wir wollen Kicks, eine gute Symbiose. Ich wette, es hat Menschen gegeben, die am 19.Dezember gerne in Berlin gewohnt hätten, einfach um sich „Safe“- melden zu können. Viel sinnvoller wäre es, wenn es in solchen Momenten einfach ruhig bliebe. Aber das spricht gegen die wirtschaftliche Logik: Facebook braucht Interaktion, es ist im Wortsinne kein „social network“, sondern ein Medienunternehmen, das emotionale Meldungen der Menschen wirtschaftlich nutzt (Exkurs: Wie wäre es mit einem Netzwerk, das Menschen wirklich nach sozialen Maßstäben und Gesetzen verknüpft? Solch ein Start-Up wäre spannend und eher in Europa möglich, weniger im libertären Silicon Valley).
Aber die User nehmen das Angebot halt auch dankend an. Hegel hat einst das „das unglückliche Bewusstsein“ postuliert: Entweder ich gehe in mich und damit der Welt verloren, oder ich wende mich der Welt zu und verliere mich damit selbst. Die Nutzung des „Safe“-Buttons ist ein Zeichen für letzteres. Wenn Menschen das Klick-Angebot eines Medienunternehmens als für das Seelenheil wichtig erachten, drohen sie sich selbst zu verlieren.
Facebook ist nützlich, um mit Bekannten über Fußball zu fachsimpeln oder mit der Freundin in Australien zu chatten. Es ist dafür ungeeignet, privates öffentlich zu machen. Dafür ist die Plattform auch gar nicht gebaut (auch wenn das Unternehmen das anders sieht).
Ich glaube, in diesen Zeiten müssen wir genau aufpassen, wie wir online interagieren. Hoffentlich tritt ein Lerneffekt ein, denn dieses permanente Dauer-Geschrei (siehe aktuell die Diskussion um "nafris") hält keiner lange aus. Im Gegenteil, es macht alles nur noch schlimmer.

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