15. Februar 2017

Über das Ende der Herrschaft des weißen Mannes - Einleitung

Richard David Precht hat ein großes Thema. Er glaubt, wir stehen vor der größten Revolution der letzten 250 Jahre, die Zeit der bürgerlich-liberalen Gesellschaft gehe zuende. Prechts zentrale These: Millionen Arbeitsplätze werden in den kommenden Jahren durch Digitalisierung/Automatisierung/Roboterisierung wegfallen, Massenarbeitslosigkeit drohe. Um dies zu verhindern, müsste wenigstens ein Grundeinkommen eingeführt werden. Unser zentrales Gesellschaftsprinzip wackelt und damit die Fundamente der westlichen Welt: Leistung lohnt sich nicht mehr.

Das sieht nicht unbedingt jeder so. Überhaupt, Precht wärmt ein Thema auf, das schon 200 Jahre auf dem Buckel hat: Am Berliner Engeldamm erinnert ein Denkmal an Arbeiter im 19. Jahrhundert, die an dieser Stelle eine Dampfmaschine in den Kanal warfen, aus Angst, die Maschine nehme ihnen die Arbeit weg. Aber es spricht auch einges für Precht, etwa die berühmt-berüchtigte "Disruption" ganzer Branchen durch Uber und Co. 
Hat er nun mit seiner These recht oder nicht? Geht die Welt, die wir kennen, die des weißen Mannes, die des Leistungsprinzips, krachend zuende? Hinweise, dass sich zumindest einiges tiefgreifend verändert, gibt es.
Der verstorbene Peter Scholl-Latour wies bereits 2012 darauf hin, dass nur noch 4% der Weltbevölkerung zwei Elternteile aus Europa haben. Auch in Nordamerika werden die weißen Bevölkerungsanteile kleiner. Die überwältigende Mehrheit der Menschen wohnt schon lange anderswo.
Die ungelösten Krisen am Rande Europas zeigen außerdem beispielhaft, dass die USA und der Westen (NATO) nicht mehr ihrer Rolle als erste Ordnungsmacht genügen. Die internationale Konstellation ähnelt eher der multipolaren Welt zu Beginn des 20.Jahrhunderts, als neben den etablierten Mächten - vor allem dem britischen Empire - auch das aufstrebende deutsche Kaiserreich Großmachtstatus beanspruchte. Die USA sind nur noch ein Spieler unter mehreren, wenn auch der Größte.
Das bürgerlich-liberale Weltbild des Westens wird jedoch nicht nur von außen bedroht. Teile der eigenen Gesellschaft äußern massiven Unmut, was auf den ersten Blick verrückt klingt, denn nie ging es uns so gut wie heute. Doch neben Wohlstand fördert der globalisierte Turbo-Kapitalismus auch Umut: Relativ schlechte Löhne, Anpassungsdruck, vor allem ist das Vermögen zunehmend ungleich verteilt. Doch die Gesellschaft wirkt erstarrt, und kaum zu Reformen in der Lage, "Alternativlosigkeit" ist seit Jahren ein geflügeltes Wort. Letzteres suggeriert jedenfalls die Elite: Wenn wir uns weiter entwickeln wollen, brauchen wir qualifizierte Einwanderer, Lohnkontrolle, freie Marktzugänge und niedrige Zinsen. Dass das noch lange gutgeht, glauben längst nicht mehr alle.
Und dann noch die Grundsatzfrage: Mit unserem stetigem technischen Fortschritt haben wir uns weitgehend die Natur untertan gemacht, und die Welt zivilisiert. Hier gewinnt ein alter Streit neuerdings völlig neue Schärfe: Ist der Mensch noch für sich selbst verantwortlich, oder muss die Gesellschaft mit Regeln dafür sorgen, dass es ihm gut geht?
Links-progressive Gruppierungen beantworten das ungefähr so: „Endlich haben wir die Chance alles wieder gutzumachen: Weg mit dem ewigen Rassismus, weg mit dem Patriachat! Rettet die Natur! Gleichberechtigung für alles und jeden, auch Tiere! Wir stecken ja noch in der Steinzeit. Vorsicht vor Faschismus, AfD und Trump! Wehret den Anfängen, 1933 ist nicht vergessen. Ändern wir uns, jetzt! Übrigens: Refugees natürlich welcome!“
Konservative, bzw. rechtsorientierte Gruppen haben ein völlig andere Sichtweise: „Sind denn alle Leute verrückt geworden? Nichts gegen Transsexuelle, aber der Umgang mit diesen Leuten ist keine zentrale Frage der Politik! Diese Gesellschaft wird kaputt gemacht durch Überregulierung! Lasst uns technischen Fortschritt haben, und die Menschen ansonsten in Ruhe lassen, dann wird alles gut! Könnte überhaupt könnte diese Gängelei namens Political Correctness mal aufhören? Wir zahlen Steuern (GEZ!) bis zum Anschlag, für was eigentlich? Ach, und was die Flüchtlingsfrage betrifft: Wir holen die Probleme der islamischen Welt gerade in unser Land. Danke, Frau Merkel!“
Konservative wollen zurück in die 50er Jahre, die Linken eine moderne Version der 70er. Rückwärtsgewand, aber auch selbstgerecht sind beide Lager und diesem Fall ist der Fortschritt, sprich das Internet, keine Hilfe: Den Shitstorms von rechts wie links gehen jederlei Erkenntnisgewinn ab. Aus der Hysterie spricht eher tiefe Angst.
Precht hat also ganz recht, wenn er meint, dass die Menschen spüren, dass etwas ins Wanken gerät. Nur, was ist das genau? Wird die Welt, die wir kennen, obsolet? Oder brauchen wir „bloß“ ein paar soziale Reformen, Steuersenkungen und weniger Neoliberalismus?
Um das zu beantworten möchte ich tiefer blicken und mit diesem Post eine kleine Serie starten. Ich will ein paar Entwicklungen der Gesellschaft in den letzten circa 50 Jahren nachvollziehen und skizzieren, um überhaupt zu verstehen, an welchem Punkt wir sind. Ob wir danach schlauer sind, mal sehen. Ich bin alles andere als allwissend, meine Gedanken stellen vor allem Anregungen und Diskussionsansätze dar. Bleiben Sie dran.

Bisher erschienen:

1 Kommentar:


  1. "Milliardäre sind gewöhnlich arbeitslos."

    Manfred Hinrich (Kinderliederautor, 1926-2015)

    Arbeitslosigkeit hat eine lange Tradition und lässt sich prinzipiell nicht vermeiden, solange die Metaphern auf der linken Seite mit allem anderen (vermeintlicher "Unsinn" mit eingeschlossen) in Verbindung gebracht werden, als ihrer wirklichen Bedeutungen auf der rechten Seite:

    Genesis_2,4-9:
    Gott der HERR (Jahwe) = künstlicher Archetyp "Investor"
    Erde und Himmel = Angebot (Waren) und Nachfrage (Geld)
    Regen / Feuchtigkeit = Geldemission / Liquidität
    Lebendiger Mensch = selbständiger Unternehmer
    Garten Eden (Paradies) = freie (d. h. monopolfreie) Marktwirtschaft
    Früchte tragende Bäume = Gewinn bringende Unternehmungen
    Baum des Lebens (ez pri ose pri: "Baum, der Frucht ist und Frucht macht") = Geldkreislauf
    Baum der Erkenntnis (ez ose pri: "Baum, der Frucht macht") = Geldverleih
    Genesis_3,1-5:
    Frucht vom Baum der Erkenntnis = Urzins (S. Gesell) / Liquiditätsprämie (J. M. Keynes)
    Mann / Adam = Sachkapital / der mit eigenem Sachkapital arbeitende Kulturmensch
    Frau / Eva = Finanzkapital / der in neues Sachkapital investierende Kulturmensch
    Tiere auf dem Feld = angestellte Arbeiter ohne eigenes Kapital (Zinsverlierer)
    Schlange = Sparsamkeit (die Schlange erspart sich Arme und Beine)
    Tod = geistiger Tod durch religiöse Verblendung
    gut oder böse = egoistisch und gebildet oder selbstsüchtig und eingebildet
    Genesis_3,6-13:
    Erbsünde = Privatkapitalismus (Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz)
    "die Frau gab ihrem Mann von der Frucht" = Übertragung des Urzinses auf das Sachkapital
    "nackt" sein = mit eigener Arbeit Geld verdienen
    "bekleidet" sein = als Investor von der Arbeit anderer Zins erpressen (lat.: vestis = Kleidung)
    "als der Tag kühl geworden war" = Abkühlung der Konjunktur (beginnende Liquiditätsfalle)
    "unter den Bäumen im Garten verstecken" = so tun, als wäre der Zins Lohn für eigene Leistung
    "die Frau, die du mir zugesellt hast" = Abhängigkeit von zinsträchtiger Ersparnis
    Genesis_3,15:
    Nachkommen der Schlange / der Frau = Geldersparnisse / neue Sachkapitalien
    Kopf der Schlange = Kapitalmarktzins (Sachkapitalrendite)
    Genesis_3,22-24:
    "unsereiner" = die nichts anderes zu tun haben, als sich an der Mehrarbeit anderer zu bereichern
    Vertreibung aus dem Paradies = Verlust der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Marktwirtschaft und Kapitalismus
    Cherubim = Denkblockaden

    Warum "unsereiner" gewöhnlich arbeitslos ist, sollte jetzt eigentlich klar sein, aber natürlich sind nach über drei Jahrtausenden Arbeitslosigkeit und ungezählten Kriegen zwecks umfassender Sachkapitalzerstörung, um den Zinsfuß hochzuhalten, die "armen verlorenen Kinder der See" einigermaßen begriffsstutzig geworden, sodass man den Sachverhalt ausführlicher erklären muss:

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2017/04/menschwerdung.html

    AntwortenLöschen