21. März 2017

Das Ende der amerikanischen Hegemonie? (1/2)

Dies ist ein Betrag zur Serie "Über das Ende der Herrschaft des weißen Mannes"

Nationalismus, Geheimdiplomatie und fehlender Friedenswille unterhöhlten die alte Machtbalance in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. 1914 wurde die Lage zusehends instabil und im August brach die überkomplexe internationale Sicherheitsarchitektur zusammen wie ein morsches Holzhaus. Das Alte machte Platz für den Aufstieg des Neuen: Welcome to the top, United States of America. Vor exakt 100 Jahren, mit dem amerikanischen Eintritt in den Ersten Welktrieg 1917, wurde das 20. Jahrhundert als amerikanisch neu definiert.
Heute jedoch zweifelt man leise an der Herrlichkeit. Parallelen zu der Welt vor der amerikanischen Hegemonie existieren: 2017 gibt es komplexe Krisenphänomene, Geheimdienste tragen verdeckte Kriege aus (Cyberwars, Drohnenkriege), verstärktes Misstrauen herrscht unter Nationen, überhaupt wächst der Nationalismus und wie damals herrscht ziemliche Unübersichtlichkeit. Andere Nationen, gar Kontinente streben auf. Die USA wirken ganz und gar nicht souverän als Ordnungsmacht. Im besten Falle scheinen sie gerade mit sich selbst beschäftigt, im schlimmsten Fall machen Entscheidungen der offensichtlich unfähigen Trump-Administration alles nur noch schlimmer. Daher sei die vorsichtige Nachfrage erlaubt, ob das amerikanische Zeitalter bereits nach 100 Jahren langsam endet?
Um das besser einzuschätzen, ein Blick zurück. In diesem, dem ersten Teil, behandele ich die erste Zeit der goldenen US-Ära bis etwa in die 1960er Jahre. In einem zweiten Teil die Zeit danach.

Die USA bis circa 1965
Im 19.Jahrhundert schufen die US-Amerikaner die Voraussetzungen für ihren Aufstieg im 20., indem sie den Wilden Westen eroberten. Der US-Historiker Frederich Jackson Turner brachte es auf einen zentralen Nenner, die Frontier-These. Es ist ein faszinierendes Theoriegebäude: An der Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation relativiert sich alles. Hier, an der Frontier schafft es nur der, der hart arbeitet und Mut besitzt. Alte Erbhöfe gibt es nicht, reich und arm zählen nicht, jeder hat die gleichen Chancen.
Damit war der amerikanische Exzeptionalismus geboren, der Traum vom Aufbruch. Zwar gab und gibt es auch Kritik, doch existentiell infrage gestellt wurde die Frontier-Mentalität nicht. Das lag auch an ihrem umfassenden Ansatz: Sie ist nicht nur rein geographisch zu verstehen, sondern allgemein dynamisch. Ideale Voraussetzungen für die Zeit der industriellen Revolution, die ja auch eine Art Aufbruch war. Zusammen mit den Ressourcen des Landes gelang so der Aufstieg der USA von der Kolonie am Ende Welt zur Supermacht.
1898 zeigte die USA erstmals imperialistische Tendenzen im spanisch-amerikanischen Krieg. 1917 dann demonstrierten sie ihr Potential, als nach ihrem kurzen Eingreifen der Erste Weltkrieg endgültig entschieden und die Niederlage des Deutschen Reichs besiegelt wurde. Danach trat zwar eine Phase des Isolationismus ein, die USA hielten sich politisch international zurück. Doch ökonomisch wuchsen internationale Verflechtungen. Beim New Yorker Börsencrash 1929, der die Weltwirtschaftskrise auslöste, war die Welt bereits dem Wohl und Wehe Amerikas ausgeliefert. Das schürte tiefe Zweifel am liberal-demokratischen Kapitalismus protestantischer Prägung. Doch die Dynamik der jungen USA überwand auch das.
1941 schlug die Stunde der „Greatest Generation“. In etwa dreinhalb Jahren Krieg gewannen die Amerikaner fast, nicht ganz, im Alleingang den Kampf um grundlegende Weltanschauungen.
Was die USA im Zweiten Weltkrieg tatsächlich leisteten, scheint heute nicht immer klar zu sein. Der Medienhistoriker Friedrich Kittler etwa behauptete, dass die größte Produktionsleistung des Krieges die berüchtigte deutsche 8,8 Zentimeter Panzerabwehrkanone gewesen sei. Doch das ist unzutreffend: Die größten industriellen Leistungen wurden jenseits des Atlantiks erbracht, in einem Kraftakt ohne Beispiel in der Geschichte:
  • Die USA führten Krieg an zwei Fronten - etwas, woran die Nazis scheiterten. Die Operationen hatten globale Ausmaße und waren eine logistische Meisterleistung.
  • Die USA stellten nicht nur Millionen Mann unter Waffen und rüsteten sie besser aus als jedes andere Heer. Ihre Industrie produzierte hunderttausende Flugzeuge, Panzer und Geschütze – weit mehr als jede andere Nation. Dazu kamen tausende Kriegsschiffe, zum Beispiel 25 moderne, kriegsentscheidende Flottenflugzeugträger. Das dritte Reich schaffte nicht einmal einen Träger, geschweige auch nur im Ansatz die Zahlen in der Rüstungsproduktion.
  • Die Amerikaner sorgten dafür, dass die Verbündeten weiterkämpfen konnten, mit Waffen- und Hilfslieferungen. Großbritannien überstand so die „Belagerung“ der Deutschen. Die vielen Millionen Tonnen Hilfsgüter an die Sowjetunion waren mindestens kriegsverkürzend (letztlich auch zum Nachteil der westlichen Allierten, da die Russen dadurch schneller in Berlin waren), vielleicht auch kriegsentscheidend. Während die Wehrmacht noch hunderttausende Pferde sogar in Panzerdivisonen einsetzte, fuhren amerikanische Studebakers die russischen Raketengeschütze, die Katjuschas, an die Front.
  • Schließlich produzierten die Amerikaner die Atombombe. Der tatsächliche Aufwand wird aufgrund der enormen theoretischen Leistung oft übersehen: Der Bau kostete gigantische Summen und beschäftigte mehr als 100.000 Menschen.
Alternative Geschichtsverläufe, in der Deutschland und/oder Japan den Krieg gewinnen, wie etwa in der TV-Serie „The man in the high castle“, sind ganz amüsante Spekulationen. In irgendeiner Form realistisch sind sie nicht. Die USA waren nicht nur das Land, dessen Geisteshaltung der Moderne am Besten entsprach (und sie  prägte), sondern auch die Gesellschaft, die den besten Nutzen aus der Industrialisierung zu ziehen verstand. Die USA waren die Moderne und damit die Supermacht schlechthin.
In der Zeit des Kalten Kriegs blieb nur die Sowjetunion auf Augenhöhe. Ob sie das nur deshalb schaffen konnte, weil die USA sie während des Krieg unterstützt hatte, ist eine interessante Frage. Jedenfalls, die Sowjetunion priorisierte die militärisch-technische Industrie, untersagte den kommunistischen Gesellschaften Entwicklungsfreiheit und blieb so ebenbürtig. Und wohl auch deswegen, weil sie der Atombomben- bzw. Nukleartechnologie "Made in America" habhaft werden konnte.
Während der folgenden etwa 40 Jahre des kalten Krieges gärte es mal hier und da, und es kam zu nur knapp vermiedenen Konfrontationen. Doch solange die beiden Supermächte ihre Ordnungsfunktionen und Machtinteressen rational wahrnahmen, blieben Konflikte in aller Regel regional beschränkt. So war in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts die Welt, wenn auch nicht konfliktfrei, so doch übersichtlich. Der Westen unter der Führung der USA prosperierte und häufte Wohlstand an wie noch nie in der Geschichte. Der Ostblock hielt unter großen Anstrengungen irgendwie mit.
Dann klopfte die Postmoderne an. Und wenn auch zunächst schleichend, es änderte sich alles.

Teil 2 hier







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