28. Juni 2017

Ciao 20.Jahrhundert - Zum Altvorderen Helmut Kohl

Weizäcker, Bahr, Schmidt, Genscher, Hamm-Brücher, Westerwelle, Späth, Helmut Kohl, alle starben in 2015, 2016 und 2017. Die führenden Politiker der alten Bundesrepublik gehen in einer Weise von uns, als signalisiere das das Ende von etwas Altem und den Anfang von etwas Neuem.
Doch während etwa Helmut Schmidt sich bis zu seinem Tod zu aktuellen Problemen äußerte, empfing Helmut Kohl 2016 den nationalistischen ungarischen Präsidenten Victor Orban. Eine politische Gaga-Idee - womöglich die seiner Frau - und ein Fingerzeig dafür, dass Kohl nicht mehr verstand. Das 21.Jahrhundert war nichts mehr für ihn. Einige weitere Hinweise dafür:

Kohls Lebensleistung war auch die der europäischen Einigung. Leider wirken politische EU-Vordenker wie er heute altmodisch angesichts des Zynimsus von Euro-Krise und Austeritätspolitik – eine Bürde der Ära Merkel.
Kohl war vom alten Schlag auch hinsichtlich seiner Gesetzesauslegung, nämlich, dass Gesetze biegsam waren, zumindest wenn es ihn betraf, etwa im Parteispendenskandal 1999 oder in der Flick-Affäre in den 80ern.
Ebenso war er kein Visionär. Nichts fällt einem ein zu Internetökonomie und Globalisierung, zwei Themen seiner späten Kanzlerschaft. Oder wie er die Vorgeschichte der Migration im 21.Jahrhundert behandelte: Als die Asylänträge Anfang der 90er Jahre massiv stiegen, riegelte Kohl Deutschland einfach ab und erklärte, es sei kein Einwanderungsland.
Am besten erkennt man die Überkommenheit aber an seinem Privatleben: Wie seine Söhne etwa der Süddeutschen berichteten, waren Familienfotos Staffage für eine scheinbar intakte Familie, tatsächlich sei der Vater "mit der Partei verheiratet gewesen", sie hätten ihn kaum zu Gesicht bekommen. Heute dagegen gibt es zwar immer noch unglückliche Familien, aber kaum solche. Minister nehmen sich Elternzeit, die Familie hat in Politiker-Kreisen eine Bedeutung höher denn je.
Kohls späte, zweite und letzte Frau Maike Richter, über die nicht viel gutes geschrieben wird, hätte laut Sohn Peter geradezu grotesk Kohl verehrt: Der alternde Patriarch umgab sich mit jemandem, der ihn selbst zur Lebensaufgabe hatte. Mit den meisten anderen, inklusive Söhne, hatte er sich zerstritten. Auch diese exzentrische für-oder-gegen-mich Einstellung wirkt eher wie aus einem alten Roman entsprungen. 
Was die neue Zeit allerdings dringend bräuchte, wäre mehr von Kohls Friedensliebe. Auch wenn Deutschland bereits unter ihm den Kosovo-Einsatz vorbereitete, den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr überhaupt: Kohl war vom Zweiten Weltkrieg geprägt, einer, der den Frieden wollte und in Europa zu finden hoffte. So stirbt mit ihm ein Stück Nachkriegsordnung und damit eine weitere Stimme des "Nie wieder".

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