19. Oktober 2017

"Babylon Berlin“

Lange habe ich auf das Fernsehereignis der letzten Jahre gewartet, "Babylon Berlin". Eine deutsche Serie, die sich mit Hollywood messen will! Endlich ist das Monumentalwerk angelaufen und die ersten vier Folgen sind online. 

"Babylon Berlin" ist tatsächlich ein Schwergewicht und stellt so ziemlich alles in den Schatten, was es je in Deutschland gab. Aber darüber können andere sich besser auslassen (die Kritiken sind jedenfalls meist positiv). Ich glaube, so mutig ein großes Rad zu drehen, das gebührt schon an sich Respekt. 

Eine Sache gibt es, die fasziniert: Obwohl die Serie vor der Machtergreifung der Nazis spielt, 1929, obwohl die Macher bewusst das ganze Thema NS außen vor lassen, schafft es die Serie nicht, die Last der Vergangenheitsbewältigung auszublenden.

Wie kann das sein? Ist 1933 denn nie vorbei? Um das zu verstehen, hilft eines der berühmtesten Fußballspiele der letzten Jahre weiter. Verblüffenderweise.
 


2014 drehten die Fußballfans in Deutschland durch, jubelten und soffen sich ins Koma: Am 8.Juli des Jahres schlug Deutschland Gastgeber Brasilien im WM-Halbfinale sensationell mit 7:1. Ein Match für die Ewigkeit.


Der ARD-Reporter Béla Réthy kommentierte dieses legendäre Spiel so:

"Kampfbetontes, aber anständiges Spiel bisher. Keine Nicklichkeiten. Toni Kroos. Khedira. Rechts ist Müller. Guter Defensiv-Zweikampf von Marcelo und ein Foul von Thomas Müller."
Es war zum Einschlafen.

Die Autoren Katti Jisuk Seo und Mark Wachholz analysierten den langweiligen deutschen Kommentar und verglichen ihn mit dem viel interessanteren englischen. Ihr Fazit: Der faktenhuberische, spröde Béla Réthy sei ein Sympton für die Krise der deutschen Erzählkunst:

"Unvermittelt fühlt man sich an trostlose, auf persönliche oder soziale Realität bedachte deutsche Filme erinnert, die von außen auf Menschen und ihre Probleme schauen und sich in minutiösen Alltagsbanalitäten verlieren. Immer rein beobachtend, niemals überhöhend und schon gar nicht wertend."
Beim Fußball wie im deutschen Film gäbe es eine „Angst vor Vermessenheit“:
„Seit Ende der Nazizeit hat die deutsche Erzählkultur Angst vor Manipulation durch Bilder. Bis 1945 wurden Manipulation und Überhöhung im Exzess für Propagandazwecke genutzt und deshalb im Zuge des Jungen Deutschen Films – sicherheitshalber – von aller visueller Externalisierung und Objektifizierung befreit.“
Seos und Wachholz' Analyse ist ungewöhnlich, belesen, intelligent. Und ich kann sie nur empfehlen, auch wenn das Thema an sich noch ein weiteres Feld ist.

Aber 1933 und seine Folgen für das Erzählen in Deutschland wiegen schwer wie ein Mühlstein. Das zeigen die vielen moralisierenden Filme, die ewigen Auseinandersetzungen mit Krieg und Dikatur, aber auch der kalte, frugale Realismus der „Berliner Schule“. Deutsche Regisseure drehen Filme fürs Feuilleton, ansehen tut sich das keiner. Zuschauer-Erfolge feiern bloß die in der schmähliche deutschen Tradition stehenden Kino-Klamotten. Dazwischen gibt es wenig, das gilt auch fürs Fernsehen.

In diesem Umfeld läuft „Babylon Berlin“ an. Diese Serie gilt als ein Vorzeigeprojekt, vielleicht gar als Startschuss in eine neue Ära. Dazu entwickelten die Macher Tykwer und Co. eine schlaue Prämisse: Die Charaktere in „Babylon Berlin“, 1929 angesiedelt, sollen aus ihrer Zeit heraus verstanden werden. Sie ahnen noch nicht, was auf Deutschland zukommt. Die Serie spielt vor der Machtergreifung, Berlin ist ein Zentrum der Welt, aufgedreht, ein Melting Pot des Exzesses, inmitten einer jungen, wackeligen Demokratie. 


Ein potentiell höllisch interessantes Szenario, denn hier zeigt sich ein anderes Deutschland, als wir es kennen: Zwar ärmlicher und (deutlich) polarisierter, aber auch modern, glamorös, vor allem ohne Lasten der Nazi-Vergangenheit und ohne Mief der Nachkriegsjahre.
 
Doch leider, auch wenn die Serie viel schafft, der deutschen Vergangenheit entkommt sie nicht.

„Babylon Berlin“ vermeidet bewusst eine Verbindung zu 1933, aber implizit gibt es sie doch: Alle Protagonisten sind entweder kriegs- oder armutsgeschädigt, korrupt oder moralisch nicht integer. Keiner der Charaktere hat Leichtigkeit, oder ist unbefangen. Ihre Leben sind schwer, ein verzweifelter, heißer Tanz auf dem Vulkan im verrückten Berlin. Humor? Ein Randaspekt. Hauptkommissar Gereon Rath nimmt Drogen! Hat doch den ersten Weltkrieg in den Knochen! 

Ein verdammt düsterer Ansatz. In der Überhöhung von „Babylon Berlin“ – schon der Titel sagt viel –, in all dem kranken, gerät den Autoren unbewusst 1933 in die Handlung: Achtung, Vorsicht, alles kaputt, Angst! Da ist er eben doch, der deutsche Fatalismus. 

Dabei ist das nicht zwangsläufig angebracht. Die Menschen des Jahres 1929 wussten nicht nur nicht, was 1933 passieren würde, es war tatsächlich noch offen. Einige Historiker bestreiten, dass Weimar zum Scheitern verurteilt gewesen sei, wie gerne behauptet wird. Im Gegenteil, die Republik hätte noch ein paar Jahre gebraucht, um sich womöglich zu festigen. Zeit, die sie dann nicht bekam: Die Weltwirtschaftskrise brach aus.


Im Sinne eines gesunden Umgang mit der Geschichte wäre also in diesem Fall der „Unfall"-Aspekt der Machtergreifung wichtig gewesen: Hitler als Reichskanzler war keine Zwangsläufigkeit, er wurde es erst durch viele unglückliche Umstände. 


So zeigt "Babylon Berlin" (in den ersten 4 Folgen) einen wilden Ritt, der mitreissend, aber kaum einmal unbeschwert ist, sondern eher Züge der Verzweiflung trägt. Als läge eine dunkle Drohung über allem. 


Entgegen der Absicht der Macher ist der Nationalsozialismus als eine Art Gewitterwolke reingerutscht. Es bleibt wohl so: Egal in welchem Jahr eine deutsche Filmproduktion seine Handlung ansiedelt – es ist immer irgendwie 1933.

PS: Apropos der Ton macht die Musik: der Titelsong von Babylon Berlin zeigt, wie atomsphärisch dicht die Serie ist. Kitschig, hymnisch, sehen- und hörenswert:




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