Um dem Euroraum beitreten zu können, holte Athen ab 1998 die US-Bank "Goldman Sachs" als Berater an Bord. Die halfen den Griechen durch Währungsswaps -Wechsel der Staatsschulden in mehrere Fremdwährungen, z.B. japanische Yen - Kreditwürdigkeit zu fingieren. Laut den Untersuchungen des europäischen Statistikamts hätte "Griechenland den Euro nicht einführen dürfen." Nachdem die US Bank 500 Millionen Dollar kassierte, ein von diversen Quellen geschätzter Betrag, überließ sie die Griechen der Eurozone und ihren tatsächlichen Schuldenbergen. Als Managing Director war der heutige EZB-Chef Mario Draghi 2002 bis 2005 mit an Bord von Goldman Sachs. Im August 2005 wälzte seine Mitarbeiterin Addy Loudiadis die faulen Kredite auf die griechische Notenbank ab. Schon vor 2008 hätte man also wissen können, wie Finanzinstitute die Kosten ihrer Manipulationen der Öffentlichkeit aufbürden. Die brachte in den drei EU-Rettungspaketen bis heute 255 Milliarden Euro auf. Mit dem Geld wurden zu beträchtlichen Teilen die Kredite von Banken bedient. Im Alltag der Griechen muss dagegen seither radikal gespart werden:
Die Budgets in der Gesundheitsvorsorge wurden um 40% reduziert. Renten wurden gekürzt, Mitarbeiter entlassen oder mit radikal gekürzten Bezügen in den Vorruhestand ("Arbeitsreserve") geschickt. Die frei gewordenen Stellen wurden nicht neu besetzt, obwohl die Jugendarbeitslosigkeit heute bei ca. 42 % liegt. Angestellte und Beamte mussten Gehaltskürzungen von bis zu 50% hinnehmen. Das hat viele Mitarbeiter, z.B. von Polizei oder Verwaltung, in eine innere Kündigung getrieben. Es kommt also zu steigender Armut bei sinkender Präsenz des Staates. Das eröffnet Raum für Kriminalität. Diese Quote steigt seit mehreren Jahren in den griechischen Großstädten. Dasselbe gilt für die Suizidrate. In einem staatlichen Vakuum greifen notgedrungen andere Mechanismen, traditionell vor allem die Familie. Diese letzte Bastion der Solidarität rettete das Land vor dem totalen Chaos, zum Beispiel indem massenhaft Pflegefälle aus den unbezahlbar gewordenen Heimen geholt wurden oder indem Ärzte in ihren Vierteln umsonst Notfälle versorgten. Zudem wurden anstelle das klassischen Konsumsystems ein Schwarzmarkt und eine Tauschwirtschaft etabliert.
Anhand dieser Auflösung eines EU-Mitgliedsstaates stellen sich viele Fragen. Betrachtet man das gesamte Europa als Einheit, ist zu fragen, weshalb es der Troika nicht gelingt, den Staat aufzufangen und den Menschen dadurch ein würdiges Leben zu ermöglichen? Weshalb die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, zum Beispiel die Steuerhinterzieher der "Lagarde-Liste"? Weshalb wirtschaftliche Fehlentscheidungen und Wirtschaftskriminalität alle Lebensbereiche eines kleinen Landes erfassen? Und ob der Kapitalismus eine Krankheit ist?
Zumindest die beiden letzten Fragen lassen sich verbinden:
Historisch betrachtet haben wir in Europa starke Tendenzen, alle Lebensbereiche zu Monetarisieren und zu Ökonomisieren. Dies setzte bereits im Mittelalter ein, als die steigenden Handelsaktivitäten zum bereits vorhandenen Geld ab dem 13. Jahrhundert auch die Wechsel hervorbrachten. Ein Reisekaufmann konnte in einer der neu entstandenen italienischen Banken eine Zahl auf ein Papier schreiben, die sich dann jemand in Brügge in Geld auszahlen lassen konnte. Das war für Geschäftsleute äußerst attraktiv. Deutlich attraktiver als von Straßenräubern seines Bargeldes beraubt, blutend auf einer Landstraße zwischen Italien und Brügge zu liegen.
Das Geld hatte es ermöglicht, allem einen Wert zuzuschreiben, egal ob Leistung, Sache, Ding, Tier oder Mensch. Der Wechsel hatte es ermöglicht, das Geld vom Handfesten zu entkoppeln. Da die Objekte hinter den Wechseln aus dem Blickfeld der Geschäftsleute verschwanden, hielt eine kühle Geschäftigkeit Einzug, deren oberstes Primat die Effizienz war. Die Monetariserbarkeit von allem Vorstellbaren und der Effizienzglaube waren also bereits in den europäischen Gesellschaften angekommen, als schließlich der moderne Kapitalismus im Lauf der englischen Industrialisierung erfunden wurde. Neben der Marxschen Idee vom Privateigentum der Produktionsmittel und der Bevorzugung Jener, die nicht darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, kennzeichnete ihn vor allem eines: Die Kapitalisten der Industrialisierungszeit reinvestierten Teile ihres Gewinns wieder ins Unternehmen. Die damit erzielte kontinuierliche Effizienzsteigerung wurde zum Brennstoff, der Europa zur dominanten Macht der Moderne trieb. Seither muss der Kapitalismus immer wachsen, sonst droht er zu erkranken, z.B. an Rezessionen.
Diese Form des Kapitalismus ist aber das genaue Gegenteil von dem was in Griechenland passierte. Hier wurde keine Effizienz geschaffen - sie wurde vorgetäuscht. Das hätte auf einem freien Markt zum Bankrott des Marktteilnehmers Griechenland geführt. Die Unternehmensleitung wäre hoch verschuldet gewesen, die Mitarbeiter wären alle arbeitslos geworden. Da man ein Land aber nicht pleite gehen lassen kann, rettet man es. Allerdings nach Effizienz- und Ökonomisierungskriterien. Die Frage ist, welche Zahlen am Ende unter dem Strich stehen und nicht, wer dabei zum Teufel geht. Ein Mangel an Empathie? Wohl eher die Sehnsucht nach einfachen Lösungen: Alternativlosigkeit, Wirtschaftlichkeit, Nützlichkeit. Nach dem Verschwinden von christlicher Religion (19. Jahrhundert) und kultureller Identität (21. Jahrhundert) können wir Gesellschaft nur noch als Marktgesellschaft denken. Traditionell alternative Impulsgeber wie Intellektuelle und Universitäten versagen als Korrektiv, da sie sich bevorzugt mit gesellschaftlicher Reglementierung beschäftigen. Dabei werden nicht ökonomische Fragen in einem dogmatischen Political Correctness Mainstream aufgelöst, der Regeln liebt und Grenzüberschreitungen stigmatisiert. Zumindest scheinen wir wesentliche Fragen nicht mehr stellen zu wollen. Zum Beispiel: Können wir Mensch und Gesellschaft anders bewerten als wirtschaftlich? Kann man humanistische Maßstäbe im 21. Jahrhundert überhaupt noch von Effizienz und Produktivität entkoppeln?
Die Budgets in der Gesundheitsvorsorge wurden um 40% reduziert. Renten wurden gekürzt, Mitarbeiter entlassen oder mit radikal gekürzten Bezügen in den Vorruhestand ("Arbeitsreserve") geschickt. Die frei gewordenen Stellen wurden nicht neu besetzt, obwohl die Jugendarbeitslosigkeit heute bei ca. 42 % liegt. Angestellte und Beamte mussten Gehaltskürzungen von bis zu 50% hinnehmen. Das hat viele Mitarbeiter, z.B. von Polizei oder Verwaltung, in eine innere Kündigung getrieben. Es kommt also zu steigender Armut bei sinkender Präsenz des Staates. Das eröffnet Raum für Kriminalität. Diese Quote steigt seit mehreren Jahren in den griechischen Großstädten. Dasselbe gilt für die Suizidrate. In einem staatlichen Vakuum greifen notgedrungen andere Mechanismen, traditionell vor allem die Familie. Diese letzte Bastion der Solidarität rettete das Land vor dem totalen Chaos, zum Beispiel indem massenhaft Pflegefälle aus den unbezahlbar gewordenen Heimen geholt wurden oder indem Ärzte in ihren Vierteln umsonst Notfälle versorgten. Zudem wurden anstelle das klassischen Konsumsystems ein Schwarzmarkt und eine Tauschwirtschaft etabliert.
Anhand dieser Auflösung eines EU-Mitgliedsstaates stellen sich viele Fragen. Betrachtet man das gesamte Europa als Einheit, ist zu fragen, weshalb es der Troika nicht gelingt, den Staat aufzufangen und den Menschen dadurch ein würdiges Leben zu ermöglichen? Weshalb die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, zum Beispiel die Steuerhinterzieher der "Lagarde-Liste"? Weshalb wirtschaftliche Fehlentscheidungen und Wirtschaftskriminalität alle Lebensbereiche eines kleinen Landes erfassen? Und ob der Kapitalismus eine Krankheit ist?
Zumindest die beiden letzten Fragen lassen sich verbinden:
Historisch betrachtet haben wir in Europa starke Tendenzen, alle Lebensbereiche zu Monetarisieren und zu Ökonomisieren. Dies setzte bereits im Mittelalter ein, als die steigenden Handelsaktivitäten zum bereits vorhandenen Geld ab dem 13. Jahrhundert auch die Wechsel hervorbrachten. Ein Reisekaufmann konnte in einer der neu entstandenen italienischen Banken eine Zahl auf ein Papier schreiben, die sich dann jemand in Brügge in Geld auszahlen lassen konnte. Das war für Geschäftsleute äußerst attraktiv. Deutlich attraktiver als von Straßenräubern seines Bargeldes beraubt, blutend auf einer Landstraße zwischen Italien und Brügge zu liegen.
Das Geld hatte es ermöglicht, allem einen Wert zuzuschreiben, egal ob Leistung, Sache, Ding, Tier oder Mensch. Der Wechsel hatte es ermöglicht, das Geld vom Handfesten zu entkoppeln. Da die Objekte hinter den Wechseln aus dem Blickfeld der Geschäftsleute verschwanden, hielt eine kühle Geschäftigkeit Einzug, deren oberstes Primat die Effizienz war. Die Monetariserbarkeit von allem Vorstellbaren und der Effizienzglaube waren also bereits in den europäischen Gesellschaften angekommen, als schließlich der moderne Kapitalismus im Lauf der englischen Industrialisierung erfunden wurde. Neben der Marxschen Idee vom Privateigentum der Produktionsmittel und der Bevorzugung Jener, die nicht darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, kennzeichnete ihn vor allem eines: Die Kapitalisten der Industrialisierungszeit reinvestierten Teile ihres Gewinns wieder ins Unternehmen. Die damit erzielte kontinuierliche Effizienzsteigerung wurde zum Brennstoff, der Europa zur dominanten Macht der Moderne trieb. Seither muss der Kapitalismus immer wachsen, sonst droht er zu erkranken, z.B. an Rezessionen.
Diese Form des Kapitalismus ist aber das genaue Gegenteil von dem was in Griechenland passierte. Hier wurde keine Effizienz geschaffen - sie wurde vorgetäuscht. Das hätte auf einem freien Markt zum Bankrott des Marktteilnehmers Griechenland geführt. Die Unternehmensleitung wäre hoch verschuldet gewesen, die Mitarbeiter wären alle arbeitslos geworden. Da man ein Land aber nicht pleite gehen lassen kann, rettet man es. Allerdings nach Effizienz- und Ökonomisierungskriterien. Die Frage ist, welche Zahlen am Ende unter dem Strich stehen und nicht, wer dabei zum Teufel geht. Ein Mangel an Empathie? Wohl eher die Sehnsucht nach einfachen Lösungen: Alternativlosigkeit, Wirtschaftlichkeit, Nützlichkeit. Nach dem Verschwinden von christlicher Religion (19. Jahrhundert) und kultureller Identität (21. Jahrhundert) können wir Gesellschaft nur noch als Marktgesellschaft denken. Traditionell alternative Impulsgeber wie Intellektuelle und Universitäten versagen als Korrektiv, da sie sich bevorzugt mit gesellschaftlicher Reglementierung beschäftigen. Dabei werden nicht ökonomische Fragen in einem dogmatischen Political Correctness Mainstream aufgelöst, der Regeln liebt und Grenzüberschreitungen stigmatisiert. Zumindest scheinen wir wesentliche Fragen nicht mehr stellen zu wollen. Zum Beispiel: Können wir Mensch und Gesellschaft anders bewerten als wirtschaftlich? Kann man humanistische Maßstäbe im 21. Jahrhundert überhaupt noch von Effizienz und Produktivität entkoppeln?
Da wir alle dieses Denken verinnerlicht haben, stört es uns wenig, dass die Leistungen, die Gesundheit und die Sicherheit unserer europäischen Mitmenschen hinter Zahlenmengen verschwinden. Wir wissen zwar noch, wo das Geld für die Rettungspakete herkommt, wir wissen aber nicht, wohin es eigentlich geht. Immerhin wissen wir wohin es nicht geht: zu den Menschen, die unsere Solidarität verdient haben und in die Strafverfolgung Jener, die vom Schlamassel profitieren.
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