2. April 2018

Der Wandel in der deutschen Fußballkultur

Inspiriert wurde dieser Artikel durch einige kluge und einige dumme Gedanken des Philosophen Wofram Eilenberger zur deutschen Fankultur  Bevor ich auf seine dümmliche Hauptthese "Kritik an Red Bull Leipzig erinnert an den Antisemitismus 1915 bis 1945" eingehe, einige Gedanken zu Sportveranstaltungen allgemein und zum Wandel in der Fußballkultur speziell:


Warum gibt es überhaupt öffentliche Sportveranstaltungen? Sport als öffentliches Spektakel wurde in vielen Kulturen aus drei Gründen organisiert. 1. Innerer Friede durch Ablenkung. Das trifft auf alle Systeme zu. Auch auf die BRD. 2. Vorbereitung auf den Krieg. Griechen bis Drittes Reich, vereinzelt auch USA. 3. Hegung des Krieges. Das ist der spannendste Aspekt. Er begann mit den mittelalterlichen Ritterturnieren. Jahrhunderte setzte alleine die Kirche sich für ein Ende der endlosen Fehden und Kleinkriege in Europa ein. Die Höfische Kultur und ihre Ritterturniere waren die ersten ernst zu nehmenden Versuche, den destruktiven Drang junger Männer durch Kultur zu hegen. Heute ist Sport einer der letzten Räume, in denen man sich zusammenfinden darf, um seinen archaischen Anlagen freien Lauf zu lassen. Wenn man so will von der Hegung des Krieges zur Domestizierung des Mannes. Insofern sind große Sportveranstaltungen eine leicht verzögerte Reaktion auf die gegenwärtige Gesellschaft. Ebenso wie Filme sind sie ein Spiegel der Gesellschaft. Ein Raum für kulturelle Experimente unter vereinfachten eingrenzbaren Bedingungen.

Weshalb wird man ein Fan? Hier vertritt Philosoph Eilenberger die Abgrenzungsthese. Man wird Fan, weil man einen anderen Verein und dessen Image oder Weltbild ablehnt. Das mag vereinzelt stimmen, als Grundregel ist es aber falsch. Ich habe dutzende von Eishockeyspielen im Stadion gesehen. Vom Erzrivalen meines Vereins wusste ich erst, nachdem ich bereits im Stadion gewesen war und beschlossen hatte, weiter hin zu gehen. Kein Feindbild, sondern die eigene Gemeinschaft, war meine Motivation Fan zu werden. Die Tradition spielte dabei ebenfalls keine große Rolle. Sie ist aber sicher ein beliebtes Gegenargument gegen kapitalistische und damit nicht-authentische (Eilenberger) Einflüsse.

Quo Vadis, Fußball? Tatsächlich haben wir vor allem im Fußball eine Entwicklung weg von den Werks-Clubs der Malocher hin zum Steckenpferd von Großinvestoren. Dazu kommen die Kommerzialisierung der Spielzeiten und die Verlagerung der TV-Übertragungen ins Pay-TV. Hier infiltriert der Krake des Kapitalismus ein weiteres gesellschaftliches Feld. Jetzt geht es bei öffentlichen Sportveranstaltungen ums große Geld. Damit verliert die Funktion „Hegung des Krieges“ an Bedeutung. Denn um sich als Fan Luft zu verschaffen, muss der Anlass als authentisch wahrgenommen werden. Sport ist vor allem emotional. Deshalb ist die Wahrnehmung das Entscheidende, nicht der Diskurs. Das emotionale Abreagieren wird langsam ersetzt durch ein Spaßangebot an möglichst die ganze Familie. Nehmen wir das von Wolfram Eilenberger angeführte Beispiel Red Bull Leipzig. Leipzig ist ein Familien-Club wie kaum ein anderer. Hier finden überdurchschnittlich viele Frauen und Kinder ins Stadion. Hier geht es vor alem ums Entertainment. Das allerdings wird von anderen Vereinen noch deutlich weiter getrieben. Bei Paris oder Madrid gibt es längst einen Fußball-Tourismus. Die Stadien werden von Menschen besucht, die Superstars sehen wollen, ohne selbst Fan zu sein. Hier hat Eilenberger Recht. Das ist weit weg von Proletarischer Malochertradition. Aber weshalb sollte es auch Proletarier-Sport-Vereine ohne Proletariat geben? Der Wandel ist also ebenso kapitalistisch wie oberflächlich. Der Fußball wendet sich von Traditionen ab, die ihn für Viele authentisch machten. Die neue Fußballkultur ist aber zeitgemäßer und funktioniert besser als zum Beispiel die recht archaischen Traditionen der Fankultur Italiens, mit leeren Stadien und erfolglosen Clubs. In Deutschland trifft die neue Event-Kultur im Vereinsfußball auf eine seit 100 Jahren etablierte Fankultur. Das Fußballstadion als Begegnungsstätte der ganzen Familie ist sympathisch, nimmt bestimmten Gruppen aber den Raum zur Katharsis, der sich dann woanders finden muss. Damit hat Deutschland ein weiteres kleines Feld des Kulturkampfs.

Kapitalismuskritik und Antisemitismus. Es ist aber keine Analogie zum Antisemitismus, wie Wolfram Eilenberger behauptet. Wer nicht in authentischen Traditionen wurzelt, ist eine kapitalistische Heuschrecke. So lautete die Kritik an den Juden 1915 bis 1945 und genau so lautet sie an RB Leipzig heute. Soweit die These Eilenbergers. Tatsächlich besteht sie nur aus einem arg konstruierten Dreisatz:
Antisemitismus verteufelt Juden als gierige Kapitalisten + RB Leipzig ist das Symbol für gierigen Kapitalismus im deutschen Fußball => Wer den RB-Kapitalismus kritisiert, ist auf einer Welle mit der antisemitischen Kapitalismuskritik.
Um dem einen anderen Dreisatz entgegen zu halten: Antisemitismus argumentiert bevorzugt antikapitalistisch. => Wer antikapitalistisch ist, muss Tendenzen zum Antisemitismus haben. => Denn Juden sind Kapitalisten. Solch überkommene Stereotype finde ich nur bei Neonazis, Antifa und gebildeten Menschen, denen das Studium von Geschichtsbüchern einen unterbewussten Subtext implantiert hat.

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