25. Mai 2018

Zwangs-Disruption

Travis Kalanick, der Gründer von Uber, sagte, er kämpfe mit seinem Unternehmen gegen „ein Arschloch namens Taxi“. Ein zynisches, heuchlerisches Geschäftsmotto: Alte Beförderungsunternehmen stellte Kalanick an den Pranger, um seinen hochaggressiven Plattformkapitalismus zu rechtfertigen.
Aber so ist das in der neuesten Welle der technisch-industriellen Revolution, die uns seit 200 Jahren in Atem hält. Keiner weiß, wie seine Welt in wenigen Jahren aussehen wird, Intelligente Maschinen und Künstliche Intelligenz sind Götter, die führende Digitalindustrie-Kapitäne wie Zuckerberg und Jeff Bezos (und auch Uber) ehrfürchtig anbeten.

Warum eigentlich diese Hatz, diese Gier nach Transformation?



Nie war technischer Fortschritt weniger nötig als heute – wir haben alles, was wir für ein auskömmliches Leben brauchen. Das zentrale Versprechen der industriellen Revolution – es soll uns einmal besser ergehen – ist erreicht. Praktisch zwar nicht überall, außerdem fehlt es an einer umweltgerechten, nachhaltigen Lebensweise. Doch diese existentiellen Ziele sind nicht mit Fortschritt zu erreichen, sondern vor allem mit Politik. Und das interessiert dann doch nicht so viele.

Immerhin, der SpaceX und Tesla-Chef Elon Musk kritisiert die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz scharf. Er warnt, dass ein (implantiertes) Interface zwischen Mensch und Computer/Internet nur noch eine Frage von drei oder vier Jahren ist. Richard David Precht schlägt in die gleiche Kerbe: Er kenne niemanden, der ein optimierter Supermensch sein wolle, sagte er neulich in einem Spiegel-Interview. Und weist zurecht darauf hin, wieviel Schaden die Ansicht, der Mensch sei unzulänglich und müsse verbessert werden, schon angerichtet habe.
Die Tech-Firmen hören wegen solcher Kritik nicht auf, geforscht wird weiter, einfach, weil schon immer geforscht wurde: Technische Entwicklung ist kaum aufzuhalten. Doch vor allem hat es auch mit der amerikanischen DNA zu tun.
Der große Aufbruch nach Westen in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts ist der Ursprung des heutigen Wandels. Damals wurde mit einer neuen Gesellschaftsform experimentiert. Und es gelang: Die USA stiegen zur absoluten Supermacht auf. Die Kraft des Materialismus beruhte auf Innovation, weil sie sich buchstäblich auszahlte.
Die Goldrausch-Mentalität hat den Drang nach Fortschritt in der Welt verbreitet. Die digitale Disruption ist ein Erbfolger. Mache dein (materielles) Glück mit Technik und Innovation. Solche Anreize ziehen vor allem Außenseiter an (sie sind es, die ja noch aufsteigen müssen). Amerika war also immer auch eine Erzählung des Underdogs und vielleicht tut es sich deswegen so schwer, seine Supermacht zu verwalten. Die USA sind expansionistisch ausgelegt, auf Verwandlung, nicht auf Verwaltung und Besitzstandswahrung. Traditionen stehen immer latent unter Verdacht und abseits des Geld- und Fachkräfte-Adels sind die gesellschaftlichen Kräfte schwach. Ein Elon Musk glaubt natürlich auch an Technik als Retterin der Menschheit. Einzig die Richtung ist umstritten: Hin zum Supermenschen bedeutet für Musk die Selbstzerstörung, daher gäbe es laut ihm nur eine Alternative: Die Menschheit müsse das Weltall erobern.
Herrje, gibt es denn nichts dazwischen?
Lange war Disruption heilsam, die Verwandlung führte den Westen in den Wohlstand. Aber alle Zukunftsgewandtheit hat den dramatischen Nachteil, Altbewährtes zerstören zu müssen, um Platz
für das Neue zu schaffen. Die Eroberung des Wilden Westens, die Etablierung einer kapitalistisch-demokratischen Gesellschaft in den ganzen USA kostete den Indianern Land, Souveränität und Millionen Tote (Exkurs: Müssten indianische Ansprüche auf Rückgabe im großen Stil im Zeitalter der Identitätsdogmatismen nicht Auftrieb bekommen? Was wäre, wenn eines Tages ein großer indianischer Zusammenschluss solche Klagen anginge?)
Heute sind wir alle Erdenbewohner es, die vielleicht die Konsequenzen tragen müssen. Ein renommierter IT-Forscher nennt den Wahn um künstliche Intelligenz jedenfalls einen Tanz um das goldene Kalb. Ob die Geister der Vergangenheit die Götzenanbeter einholen? Wer weiß das schon. Die Hatz geht weiter.


(Mir ist die Ironie bewusst, dass dieser Post bei einem Google-Unternehmen erscheint und auf Facebook angekündigt wird)

1 Kommentar:

  1. Soviel zu sagen zu dem Aufschrie dieses Textes. Deshalb nur kurz:
    - Motive für den Technikwahn? Geld und der uralte menschliche Drang, die Grenzen zu durchbrechen. Ähnlich Columbus werden wir wohl an einem ganz anderen Ort/Zustand landen als geplant.
    - Konkreter: Ray Kurzweil und seine Transhumanisten wollen schlichtweg Unsterblichkeit. Wen das nicht an tausende Geschichten über Hochmut und Fall erinnert? Allerdings sind das keine Spinner. Die sind gut vernetzt und verweisen auf die medizinischen Fortschritte der letzten 150 Jahre.
    - Diese überflüssige - da bin ich voll bei Rocketrocker - Hatz nach Innovationen kann nur eine Gesellschaft veranstalten, die entwurzelt ist. Traditionslos und ohne Ehrfurcht und "ja": auch ohne intrinischen Glauben.
    - Apropos Tradition. Während unsere Rechten ja immer noch der Mief von Kegelbahnen und Schützenverein umweht, entstand im Silicon Valley eine neue Form. Die sind viel näher am Nazi, als zum Beispiel die AfD. Denn sie wollen, was vernünftige Männer wie Precht und Rocketrocker befremdet: Den Übermenschen. Und zwar in Verbindung mit Humanselektion.

    AntwortenLöschen