13. Juni 2016

Schland

Wenn nun gleich #dieMannschaft spielt bei der Fußball-Europameisterschaft, öffnen sich Abgründe für Nicht-Fußball-Fans. Sogar seriöse Nachrichtensendungen machen gerne mit der Ankunft des Nationalteams am Stadion auf (aktuell ist die Euphorie aufgrund des unfassbaren Massakers in Orlando/Florida allerdings gedämpft).
Schland ist seit dem Sommermärchen 2006 dauerhaft trending topic. Behauptet man gegenüber Schland-Fans, die Europameisterschaften von 2000 und 2004 seien die besten Turniere überhaupt gewesen, löst man Kopfschütteln aus, da die Deutschen jeweils früh ausschieden. Dabei widersprechen nur wenige Experten und Fußballliebhaber dieser Meinung.
Genau das ist die Schwierigkeit mit der nationalen Fußball-Verklärung: Der Fußball selbst steht nicht im Mittelpunkt. Der Kick ist eine reine Projektionsfläche für die nationale Emotion.
Das Fantum an sich hat es freilich immer gegeben. Auch wenn konservative Kreise den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 als ein "Wir sind wieder wer"-Moment überhöhen, der er keinesfalls war: Gejubelt wurde immer, wohl seitdem es Fußball gibt. Nein, das Problem liegt, analog zu manchen aktuellen Komplikationen, in der Skalierung, der Potentierung, im Effizienzsteigerungswahn.
Früher jubelten Fans, heute Eventfans. Waren Sie mal bei einem Deutschlandspiel, sagen wir, einem Qualifikationsspiel? Nein? Ich auch nicht. Die Ticket-Preise sind absurd hoch. Ein anspruchsvolle, kräftig verdienende Gesellschaftsschicht soll angelockt werden - Gewinner.  Die Erwartungen steigen entsprechend: Gewinnt #dieMannschaft nicht hoch genug, erschallen Pfiffe im Rund. 
Fußballer werden zu Idolen aufgebaut, zu denen sie gar nicht taugen. Klar, dass der "Gaucho"-Tanz am Brandenburger Tor 2014 irritierte. Hier lag nämlich ein Missverständnis vor: die einen, die Protagonisten selbst, glauben, sie seien doch bloß (wenn auch sehr erfolgreiche und top verdienende) Kicker. Team-Manager Oliver Bierhoff und seine Leute verkaufen dagegen eine strahlende, glatte und platte Projektionsfläche. Und wehe, diese bekommt Risse. 
Auch früher gab es Skandale, Possen und Aufreger um Fußball, aber heute wird soviel in diesen Sport hineingelegt, dass sich jedes Ereignis wie ein Erdbeben anfühlt. Es geht um alles oder nichts, darunter machen es Medien, DFB und viele Fans nicht mehr. Ein typisches Problem der heutigen Zeit. "Weniger ist mehr" - dieser Ausspruch war nie so out wie jetzt.
Ich persönlich bin auch Fan der deutschen Mannschaft. Wenn sie denn gut spielt. Wenn nicht, sollen sie von mir aus ruhig rausfliegen. Die Europameisterschaften von 2000 und 2004 sind mir noch in bester Erinnerung.

PS: Deutschland hat soeben gegen die Ukraine gewonnen. Einen erfrischenden Blick auf das Ergebnis von außerhalb liefert Jonathan Wilson auf englisch, einer der besten Fussballjournalisten überhaupt.






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