17. Juli 2018

Alles außer Fußball 2/2

Teil 1 hier


Vorbemerkung

Als Frankreich Weltmeister 2018 wurde, schrieb es eine Glaubens-Tradition fort: Alle Fußballweltmeister stammen aus katholischen Ländern. Die einzige Ausnahme ist England (protestantisch, 1966).
Im Finale standen nur zwei weitere protestantische Länder: Niederlande und Schweden (dagegen 10 katholische Finalisten). Weltmeister oder Vize-Weltmeister anderer Religionen gibt es nicht. Im Spiel um den dritten Platz waren 2002 zum einzigen Mal  nicht-christliche Mannschaften (Südkorea verlor gegen die Türkei).


Der Trend zur Konzentration

Trotz nun 30 Jahren Turbo-Globalisierung und ökonomischer Aufholjagd asiatischer Länder ist im Top-Level Fußball interessanterweise davon wenig zu spüren. Im Gegenteil, es findet eine Konzentration statt und zwar in Europa. Nicht Südkorea, Kamerun, USA oder Mexiko sind die Herausforderer in den letzten 20 Jahren gewesen, sondern Frankreich, Spanien, aktuell Kroatien und Belgien (übrigens auch katholisch geprägte Länder). Das hat sicher mit einem Cluster-Effekt zu tun: Die großen europäischen Ligen, vor allem die Champions League sind sportlich das Maß aller Dinge.
Wird sich das ändern? 



Die nordamerikanische Liga wächst, aber behäbig und bleibt weiter ein Rückzugsraum für Rentiers. China hat Ambitionen als großer Player und machte in Russland auf gefühlt 80% der Banden Werbung. Mit Gewalt versucht sich das Land als Fußballmacht zu etablieren, die Geldaufwendungen sind riesig, eine Liga gespickt mit Stars sorgt neben der Premier League für inflationäre Ablösesummen und Spielergehälter. Doch ob das nachhaltigen Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Fußball müsste ähnlich dem Tischtennis ein Volkssport werden, ein Sport der Herzen. Das kann man kaum verordnen und ist angesichts der harten Konkurrenz schwer zu erreichen. Dennoch, das Land hat gigantische Ressourcen und langfristig ist eine WM-Teilnahme und vielleicht sogar das Überstehen der Gruppenphase durchaus realistisch.
 

  
Frankreich.
 

(Exkurs: Gibt es den Weltmeister-Weg und wenn, ist Frankreich das Vorzeige-Muster? Einige Jahre als Geheimfavorit gelten, mal ein Halbfinale bestreiten, Erfahrung sammeln und irgendwann gelingt der große Durchbruch? Wer wäre diesbezüglich als nächstes dran, neben Kroatien und Belgien? Tschechien? Polen eines Tages? Oder gelingt doch Exoten der Durchbruch, wie das diskutierte China, vielleicht Südkorea oder Nigeria?) 

Frankreich ist der Aufsteiger im Weltfußball der letzten 20 Jahre. Sie holten den WM-Titel 1998, sie holten ihn beinahe 2006 - nur ein Aussetzer verhinderte dies -, sie holten ihn 12 Jahre später. Sie produzierten mehrere Superstars des Weltfußballs, allen voran Zinedine Zidane, über den man streiten kann, ob er ganz nach oben in die Liga von Pele und Maradona gehört und der auch als Trainer sensationell erfolgreich ist. Der Talentpool ist riesig und gerade wird diskutiert, ob Frankreich auf Jahre unschlagbar ist (diese Diskussion gab es allerdings schon öfters).

Frankreich hat schwierige Zeiten hinter sich, was Themen wie Islam und Integration angeht. Aber nicht zuletzt der Fußball ist es, der dem Front National die Grenzen aufzeigt und beweist, wie erfolgreich Zuwanderung in der Grande Nation sein kann. Die (muslimischen) Immigrianten sind es, die das französische Team glänzen lassen, oft Spieler ursprünglich afrikanischer Herkunft. 

Nach einem Zwischentief stellt Frankreich wieder eine Großmacht dar. Viele geben als Grund für den Erfolg die vorbildliche Talentausbildung an. Das Team spielt pragmatischen Fußball, sie verteidigen kühl, haben aber riesiges Talent für den Angriff. Frankreich könnte tatsächlich einen Spitzenplatz auf Jahre hinaus besetzen, wenn es sich seiner selbst auf dem Platz sicher wäre. Trainer Didier Deschamps ließ merkwürdig defensiv spielen, beinahe konträr zu dem, was die Mannschaft eigentlich hergibt. Das ist natürlich legitim, und vor allem erfolgreich. Aber jüngst im Finale wackelte Frankreich bedenklich. Kroatien wirkte widerstandsfähig, ruhig und überlegen als es noch 0:0 stand, die Equipe war alles andere als souverän. Doch ohne eine Chance zu kreieren, kamen sie zu zwei Toren: Eine Schwalbe und eine glückliche Schiedsrichterentscheidung gaben den Ausschlag, erst für die Führung, dann für den Sieg.
Von daher halte ich sie für keinen überragenden Weltmeister wie die Spanier oder einst Brasilien, sondern ordne sie eher in die Kategorie "Deutschland 2014" ein: Man erstarrt nicht in Ehrfurcht, aber der Titel ist alles in allem verdient.
Seltsam bleibt die strategische Ausrichtung – manchmal scheint es, als schlügen zwei Herzen in Frankreichs Brust, ein Gegensatz ähnlich der tatsächlichen Kulturgrenze im Land.


Spanien.

 
Als Spanien nach einer langen, erfolglosen Zeit endlich Europa- und danach Weltmeister wurde, prägten sie gleich eine ganze Ära. Von etwa 2008 bis 2012, eigentlich bis 2014, galten sie als das Maß aller Dinge und den anderen Teams völlig überlegen.
Das Land hatte schon immer Spieler der Extraklasse und war oft als Mitfavorit in Turniere gestartet. Aber erst ab 2008 profitierte die Nationalmannschaft von seinen starken Fußballklubs, die die Champions League beherrschten, von den neuen taktischen Errungenschaften rund um den Ballbesitzfußball, die ebenso auf der iberischen Halbinsel entwickelt wurden und von einem neu gefundenem Zusammenhalt.


Flankiert wurde der Aufstieg im Fußball von Erfolgen in anderen Sportarten. Im Radsport reüssiert die Nation regelmäßig, Rafael Nadal ist ein Ausnahme-Tennischampion, die Nation stellt NBA-Basketballspieler und starke Handballvereine. Dieser überragenden Entwicklung liegt sicher die Abkehr von der Diktatur in den 1970er Jahren zugrunde. Nach und nach entfaltete sich das Potential einer sportbegeisterten Nation.
Leider existiert ein unterschwelliger, beständiger, nicht ausgeräumter Doping-Verdacht im spanischen Sport. Die große „Operation Puerto“ 2006, die Jan Ulrich die Karriere kostete und den Radsport zutiefst erschütterte, wurde nie zuende geführt. Bis heute halten sich Gerüchte, dass auch andere Sportarten, etwa Fußball und Tennis ebenso von Doping betroffen waren und vielleicht noch sind.


Nach einer Schwächephase 2014/16 gingen die Spanier als einer Topfavoriten in die WM 2018, und wer das Vorbereitungsspiel gegen Deutschland gesehen hatte, der wusste auch warum. Damals im März spielte Spanien Fußball vom anderen Stern (Deutschland machte übrigens sein bestes Spiel in diesem Jahr). Dann jedoch, kurz vor WM-Beginn, entließ der Verband Trainer Lopetegui, dieser hatte heimlich mit Real Madrid Verhandlungen geführt für die Zeit nach dem Turnier. Spanien schied sang- und klanglos im Achtelfinale aus und ließ die Klasse vom März nur aufblitzen.
Dies zeigt, wie selbst- und machtbewusst der Klubfußball besonders in Spanien geworden ist. Generell in Europa gilt übrigens: Während vor 20 Jahren noch diskutiert wurde, wo der bessere Fußball zu sehen war, bei den Länderturnieren oder den europäischen Klubwettbewerben, ist das heute gar keine Frage mehr. Die nationalen Ligen, aber vor allem die Champions League sind das Maß aller Dinge. Real Madrid muss sich jedenfalls vorwerfen lassen, einen möglichen Weltmeisterschaftstitel aus Selbstgerechtigkeit torpediert zu haben. Die Frage lautet, ist das nur unglücklich gelaufen, oder war das ein Fanal für das weitere Auseinanderdriften von Nationalverband und Klubs? Das wird sich noch zeigen. Was sicherlich auch in den Fall hineinspielt ist die Frage des Zusammenhalts im spanischen Team. Der Gegensatz Real Madrid und FC Barcelona wird verschärft durch die Autonomiebestrebungen Kataloniens.


Ein langfristiges Versinken in solche Probleme wäre schade. Spanien war nicht irgendein Weltmeister, es hob das Spiel auf ein neues Level. Das Team von 2010  wäre auch heute noch kaum zu schlagen. Die überlegene Ball- und Passtechnik, das Spielverständnis, all das war eine Augenweide, und das schon erwähnte Freundschaftsmatch gegen Deutschland versprach Traumfußball für die WM. Aber es wachsen keine Bäume in den Himmel, auch Spanien muss sich den Erfolg hart erarbeiten, und wenn der wichtigste Baustein – der Trainer – fehlt, dann passiert genau das, was wir sehen konnten beim Aus gegen Gastgeber Russland: Viel Technik, kaum Chancen, Spanien passte sich zu Tode.
Ein Jammer. 



Anmerkungen zu Teams, die sensationellerweise gar nicht dabei waren: Die USA.

Vor knapp 20 Jahren las ich zufällig eine hervorragende Reportage eines amerikanischen Journalisten und Eishockeyfan über die WM in Frankreich 1998. Der Sieger in den USA sei alles, hieß es in dem Artikel, der Verlierer nichts, deswegen käme letzterer sinnbildlich "in die Hölle". Im Fußball aber werden Verlierer heldenhaft gefeiert, für die Fans habe das Leid etwas existentielles, der Fußball definiere sich ein stückweit darüber. Leid sei eben auch Teil der Erlösung. Das hatte den Journalisten so nachhaltig fasziniert, dass er, als er nach Hause kam, kein Eishockey mehr schauen konnte, weil er „den Puck nicht mehr sah“.
 

Trotz all solch tollem amerikanischem Journalismus, die USA haben das Spiel anscheinend noch nicht verstanden. Vom Spirit vielleicht schon – eine wichtige Voraussetzung, den Fight annehmen, konnten die Amis schon immer  – aber ihnen fehlt der Esprit. Das Land der großen Basketballgötter tut sich schwer, mit dem Fuß zu zaubern. Der Stil der USA ähnelt dem Schwedens.
 

Sind es nordeuropäische Traditionen, die den amerikanischen Fußball geprägt haben? Möglich, aber vor allem produzieren sie einfach viel zu wenig Talent. Erstaunlich für eine Land dieser Größe und dieser Sportbegeisterung. Sind es tatsächlich rein kulturelle Unterschiede? Begreift das Land den Fußball wirklich nicht? Stimmt hier der Ansatz vom amerikanischen Exzeptionalismus? Ich weiß es nicht. Sicher ist, falls es die USA schafften, ihr riesiges Latino-Reservoir anzuzapfen, könnte die Sache gänzlich anders aussehen. Man stelle sich vor: Eine feurige Offensive á la Mexico, gepaart mit der Physis und Kampfkraft der etablierten US-Tradition. Die USA wären eine potentielle Fußball-Weltmacht. Leider ist Integration unter dem Star-Spangled Banner in der Ära Trump kein Thema, im Gegenteil, Latinos werden schändlichweise verunglimpft und diskriminiert.
 

Heuer sind die USA an einem Tiefpunkt angelangt: In der eigentlich sehr einfachen nordamerikanischen WM-Qualifikation schieden sie aus, sie nahmen nicht in Russland teil. Inwiefern Jürgen Klinsmann als langjähriger Trainer das zu verantworten hat, oder Veränderungen anstieß, die wie in Deutschland erst in einigen Jahren fruchten, keine Ahnung. Ich traue den Amerikaner grundsätzlich viel zu, denn wenn eine Nation in der Lage ist, sich anzupassen und alles für den Erfolg zu tun, dann die USA. Doch dafür müsste es einen breiten Wunsch in der Bevölkerung geben, aber da ist Base-, Basket- und American Football sowie Eishockey vor. Werden die USA, die übrigens eine lange Fußballtradition besitzen, jemals eine Rolle in der Weltspitze spielen? Das man die Frage überhaupt stellen muss, ist faszinierend. Auch das gehört zum Fußball.


Italien.
 

Der Calcio kriselt schon länger und dies ist endlich jüngst auf die Nationalmannschaft durchgeschlagen. 2006 wurde das italienische Team noch Weltmeister, dann flog es aus den Vorrunden 2010 und 2014. 2018 qualifizierte es sich nicht einmal mehr (immerhin schnitt man noch in den EMs 2012 und 2016 gut ab). Mein Eindruck: Trainer wie Conte kaschierten die Probleme der schwächelnden Mannschaft (gute Trainer produziert Italien traditionell viele), aber auch das ist nun vorbei.

Italien ist, was seine Erfolge betrifft, das dritte große WM-Team. Zwei seiner vier Titel hat es allerdings vor dem Zweiten Weltkrieg geholt, Europameister war man erst ein Mal, 1968. Auch müssen wir über den WM-Titel von 2006 reden. Frankreich hätte ihn eigentlich verdient gehabt. Doch der italienische Spieler Materazzi provozierte Zidane zu einer Tätlichkeit, und der flog vom Platz; eine Leistung, die in manchen Gegenden als geschickt eingestuft werden mag, sportlich aber keinen Wert besitzt.
Italien ist ähnlich wie Spanien ein Land, dass nicht nur große Spieler hervorbringt, sondern auch stilbildend sein kann. Italien ist das Land der Taktik, es wird immer irgendwie mit dem defensiven Catenaccio verbunden bleiben. Und tatsächlich, 2006 war es die Verteidigung, die den Titel brachte. In seinen besten Momenten ist dieser Fußballansatz aber mehr als das, Italien konnte oft Souveränität zeigen, Siegeswillen, geniale Spielzüge und Abgeklärtheit. Wenn es schlecht läuft, dann aber erzielen sie eben zu wenig Tore, so geschehen im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Schweden.
 

Italien hatte schon öfters schlechte Phasen gehabt, so dass man glauben möchte, auch die aktuelle ist nur temporär. Auf der anderen Seite gibt es gesellschaftliche Problematiken, die sich verstärkt auf den Fußball übertragen: Der ewige, sich verstärkende Gegensatz zwischen Nord und Süd ist so ein Thema. Im Fußball ist Juventus Turin Dauermeister, und obwohl die anderen großen Nordvereine schwächeln, gelang es weder Rom noch Neapel den Titel zu holen. Nun kommt auch noch Ronaldo zur neuen Saison nach Turin. Zu all dem ist die wirtschaftliche Lage in Italien dauerhaft schlecht, was der Liga nachhaltig schadet. Aber das ist ein Problem, mit dem sich halb Europa noch lange wird beschäftigen müssen – weder in der EU noch in der UEFA wird Solidarität wirklich groß geschrieben. 
Italien wird bald sicher wieder eine Rolle spielen im Fußball, aber ganz nach oben, dieser Weg scheint mir zur Zeit verbaut zu sein. Eher könnte es auch für etwas stehen, für das Nationen wie Deutschland sich auch vielleicht wappnen müssen: Stagnation zu verwalten. Andere Nation drängen in den Vordergrund, vielleicht ist die Wachablösung längst eingetreten und wir wissen es nur noch nicht.
 

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