15. April 2016

Der Fall Böhmermann, das geheime Zusatzprotokoll und Merkels Abstieg

An diesem „elenden Freitag“ (Die Welt) hat sich unsere Bundeskanzlerin auf der Seite eines beleidigten Autokraten und gegen die Pressefreiheit positioniert. Erdogan hatte bereits einen persönlichen Strafantrag gestellt. Zusätzlich setzte er Merkel unter Druck, indem er auch noch einen Majestätsbeleidigungsparagraphen 103 aus Kaisers Zeiten gegen den Satiriker Böhmermann ins Felde führte. Sie zögerte und beriet sich. Dann trat sie zur hochoffiziellen Verlautbarung an, um mitzuteilen, sie gebe Erdogans Gesuch nach Anwendung des Paragraphen 103 freie Bahn, denn es sei alles eine Sache der Justiz. Die war ja aber bereits ohne Merkels staatstragende Performance durch Erdogans persönlichen Strafantrag involviert. Wem das noch nicht rückgratlos und konfus genug ist: In derselben Rede erklärte sie, den Paragraphen abschaffen zu wollen, denn er werde nicht mehr gebraucht? Am Ende dieses Satzes ist ein Fragezeichen mehr als angebracht.

Wir haben uns an eine Kanzlerin gewöhnt, deren große Kunst das Nichtstun war. Deshalb wurde sie 2013 wiedergewählt. In einer Welt der Krisen wollten wir Deutschen, dass hier alles so bleibt wie es ist. Das versprach sie mit Worten und Gesten.
https://www.google.de/searchq=cool+bleiben+kanzlerin+w%C3%A4hlen+pics&biw=1366&bih=643&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=0ahUKEwj54J6Xj7vLAhUMCpoKHd5HBNUQsAQIGw

Es ist eine historische Schwäche der Deutschen, sich einer politischen Führerfigur anzuvertrauen, „die es schon richten wird“. Dieses trügerische Versprechen politischer Führung hängt uns seit Bismarck an. Merkel ist dabei bei Weitem nicht der schlimmste Profiteur eines solch apolitischen Führungsverständnisses. Diese tummelten sich zwischen 1888 und 1945. Allerdings pflegt auch sie einen undemokratischen Führungsstil, in dem die Menschen besser nicht gefragt werden – EU Verfassung u.v.m. – oder der Justiz gesagt wird, was sie zu tun und zu lassen hat – Böhmermann. Das wäre nur dann verschmerzbar, wenn sie nicht solch einen schrecklichen Hang zu Fehlgriffen hätte. Hier einige seltsamerweise selten erwähnten Beispiele:

In der DDR: Aktive FDJ-Funktionärin, entweder für „Kultur“ (Selbstaussage) oder für Agitation und Propaganda (Gunther Walther, Chef der FDJ-Gruppe am Akademie-Institut). 1989 trat Sie dem „Demokratischen Aufbruch“ bei. Bis heute halten sich Gerüchte, sie hätte das als IM getan. Zudem sei sie bis zum Mauerfall für einen eigenständigen Weg der DDR, also gegen die Wiedervereinigung, eingetreten. Jedenfalls genoss sie erhebliche Privilegien durch das SED-Regime, auch noch während der Montagsdemonstrationen.
Dennoch begann ihr Aufstieg in der CDU: Ihre vermutlich stärksten Eigenschaften - Klugheit und Ausdauer – ermöglichten ihr einen Durchmarsch bis zur Generalsekretärin. Schließlich Parteichefin durch die aktive Mithilfe am Sturz ihres politischen Ziehvaters Helmut Kohl in der Spendenaffäre 1999.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/merkel-interview-verwirrung-um-millionen-in-schwarzen-kassen-a-60956.html

Fehlurteile:
2003 wollte Merkel die Deutschen in einen Krieg schicken, der sich im Nachhinein als große Lüge entpuppte und mittlerweile bis zu einer Million Menschenleben kostete. Der Irakkrieg ist neben Afghanistan der Urkonflikt des 21ten Jahrhunderts geworden.
https://www.washingtonpost.com/archive/opinions/2003/02/20/schroeder-doesnt-speak-for-all-germans/1e88b69d-ac42-48e2-a4ab-21f62c413505/

2004: Merkel spricht sich 2004 energisch gegen einen EU-Beitritt der Türkei aus. Sie macht sich statt dessen für eine „Privilegierte Partnerschaft“ stark. 2016 weist die Türkei unter dem Autokraten Erdoğan deutlich undemokratischere Züge auf als 2004. Welcher Partner ist ihr durch die Flüchtlingskrise geblieben, nachdem Deutschland in Europa isoliert ist? Und wem stellt Merkel jetzt ein EU-Beitrittsverfahren in Aussicht? Genau – der Türkei.
http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/privilegierte-partnerschaft-merkel-macht-stimmung-gegen-eu-beitritt-der-tuerkei-1179486.html

2005: Gleich bei Ihrem Antrittsbesuch in Brüssel im Dezember 2005 signalisierte sie den Polen mit einem Geldgeschenk von ca. 100 Mio Euro, dass Schröders russlandaffine Ära beendet sei. Dummerweise erwiderten die Kaczynski-Zwillinge diese Liebe nicht, und es kam zu einer bis heute anhaltenden Phase der Entfremdung zwischen Deutschland und Polen. Diesen mit Beleidigungen nicht sparenden unerfreulichen Kindereien schlossen sich die Bevölkerungen zum Glück nicht an.
http://www.berliner-zeitung.de/das-polnische-wochenmagazin--wprost--provoziert-mit-seinem-juengsten-titelbild-einen-skandal--auch-in-polen-wird-die-fotomontage-mit-angela-merkel-heftig-kritisiert-gipfel-der-geschmacklosigkeit-15433574
http://www.epochtimes.de/politik/europa/merkel-als-hitler-schulz-als-keitel-polnische-medien-vergleichen-eu-politiker-mit-nazi-fuehrern-a1298525.html

2010/2011: Von 2000 bis 2002 hatte die Rot-Grüne Koalition den Atomkonzernen in zähen Verhandlungen den Atomausstieg abgeerungen. Ein lange ersehntes Ziel v.a. der Grünen. 2010 beschließt Angela Merkel in Zusammenarbeit mit der Atomlobby den Ausstieg vom Ausstieg, nachdem sie diesen bereits mit mehreren Zusatzvereinbarungen wie Schutzklauseln und Beschränkungen für AKW-Sicherheitsausgaben untergraben hatten. Dummerweise für Merkel und tragischerweise für die Betroffenen kommt es im Japanischen AKW Fukushima zu einem schweren Unfall. Merkel beschließt den Ausstieg vom Ausstieg aus dem Atomausstieg undlässt sieben deutsche AKW schließen. Diese waren nur aufgrund ihrer Laufzeitverlängerung noch in Betrieb.
http://www.zeit.de/2011/13/Regierungsvertrauen 

2012: Sie stemmte sich mit aller Macht gegen die Präsidentschaft Joachim Gaucks und boxte Christian Wulff durch, der darauf die bisher traurigste Rolle als Bundespräsident ablieferte und 2012 von wem abgelöst wurde? Genau – Joachim Gauck.
http://www.zeit.de/2012/09/Machtmechanik

Man könnte das sicher noch ausbauen und man könnte dem sicher auch Positives gegensetzen. Dennoch bleiben diese peinlichen Zeugnisse. Ich kenne Angela Merkel nicht persönlich, obwohl ich einst Praktikant im Deutschen Bundestag war, und weiß deshalb auch nicht, ob sie sich wie die großen Kanzler ebenfalls in die Geschichtsbücher bringen möchte. (Adenauer – Heimholung der Kriegsgefangenen. Erhard – als Minister das Gesicht des Wirtschaftswunders. Brandt – das Ende der Eiszeit mit dem Osten. Schmidt – Kampf gegen den Terror im „Deutschen Herbst“. Kohl – Deutsche Einheit. Schröder – „Nein!“ zum Irakkrieg, s.o.). Sah sie die Flüchtlingskrise als ihre historische Chance? Die Europäischen Partner durch ein „Wir schaffen das“ vor vollendete Tatsachen zu stellen, hat Deutschland in Europa isoliert. Die Folgen einer Politik, die nur auf Sicht fährt. Der große Befreiungsschlag scheint der Türkei-Deal zu sein.

Jetzt der Fall „Erdogan – Böhmermann“. Und sie, die bei unsicherem Ausgang gerne im Hintergrund bleibt, stellt sich ins Rampenlicht. Weshalb? Zumal sie dabei wirkte, wie ein Boxer kurz vor dem endgültigen Knockout.
Zurecht hatte Merkel die widerlichen Karikaturen, die sie in polnischen Zeitungen in Nazi-Uniform zeigte über sich ergehen lassen. Zu Unrecht hatte sie gekuscht, als herauskam, dass die Amerikaner die gesamte Kommunikation der Deutschen und ihr Privathandy abhören. http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Rousseff-gibt-Obama-einen-Korb/story/28930755?dossier_id=2020 Jetzt bietet sie unsere Justiz und die Unabhängigkeit unserer Medien ohne Not allen sensiblen Autokraten dieser Welt als Zielscheibe. Ohne Not?
Wir wissen nicht, was neben den offiziellen Inhalten im Flüchtlingsdeal mit der Türkei vereinbart wurde. Schließlich gibt es immer noch keinen Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge. Damit hätte sich für Deutschland kaum etwas geändert. Auch wenn jetzt legale statt illegale Flüchtlinge nach Europa kommen, werden sie nur von wenigen Ländern aufgenommen. Aber vielleicht gibt es ein geheimes Zusatzprotokoll zum Türkei-Deal. Ist es nicht praktisch, einen bösen Buben zu haben, der als Schleuse agiert, die sich um Menschenrechte und öffentliche Meinung nicht so sehr scheren muss wie die EU? Weiß Merkel, dass nicht mehr viele Hilfesuchende kommen (können)? Wird sie jetzt die Geister nicht mehr los, die sie rief? Ist Merkel erpressbar? Hat Erdogan sie mit einem geheimen Zusatzprotokoll in der Hand?

2 Kommentare:

  1. Merkels Politik hält sicher viele Reibungspunkte bereit, deren Aufarbeitung weitere Posts verdienen. Der Letztgenannte - die Böhmerann-Affäre - ist meiner Meinung nach verrückterweise nur ein höchstens indirekter Fehler. Wie Heribert Prantl, ein Kritiker Merkels, in der Süddeutschen schreibt, ist die Entscheidung der Kanzlerin ein sinnvoller juristischer Schritt. Ich sehe ein Problem eher im erstaunlich niedrigen Niveau von Böhmermanns Schmäh. Hätte er etwa ein gut gemachtes Lied wie gegen die AfD gezimmert, fiele der politische Schaden geringer aus. Paradoxerweise erfüllt Böhmermann gerade deswegen aber seine Funktion als Satriker: Die Affäre um das Gedicht legt den Fokus auf Merkels lange Vergangenheit als kühl kalkulierende Machtpolitikerin. Auch wenn sie hier fast nur Fehler machen kann, ihre Kritik lässt darauf schließen, dass ihre Kreditfähigkeit am Dispolimit angekommen ist.

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  2. Es wäre nicht das erste mal, dass Politiker geheime Absprachen treffen. Wenn Erdogan sie derart in der hand hat, ist sie für Deutschland untragbar.

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